Wohnen im Zipfel

■ In Horn entsteht eine Siedlung aus preisgekrönten Einfamilienhäusern / „Achtern Diek“ ist durch einen riesigen Lärmschutzwall Ruhe eingekehrt

Es war einmal das lauteste Grundstück von Bremen: Auf der einen Seite sausen die Autos auf der Autobahn 27 vorbei, auf der anderen dröhnt der Zug nach Hamburg. Dazwischen ein kleiner Zipfel von 16 Hektar. „Eigentlich war das ein wertloses Stück Land, wo nur die angeblich gehörlosen Pflanzen gedeihen können“, sagt der Bauunternehmer Klaus Hübotter. „Aber wir müssen so was bebauen, schließlich ist Land nach den Menschen das Wertvollste in Bremen. Wir können es ja nicht vermehren.“

Hübotter fand eine Lösung: Inzwischen schottet Bremens höchster Lärmschutzwall das Areal ab, das wegen des zwölf Meter hohen Schall-Deichs „Achtern Diek“ heißen soll. „Damit haben wir den Lärmpegel um 75 Prozent reduziert“, sagt Hübotter. Die Ruhe hatte allerdings ihren Preis: Fast die Hälfte der Fläche nimmt der neue Grüngürtel ein, nur neun Hektar bleiben als Nettobauland übrig. Deshalb wird Hübotter mit seinem Partner, der Bauträgergesellschaft Müller und Bremermann, auch nur 175 Einfamilienhäuser errichten und nicht 400 wie manch anderer Investor es vorhatte.

Qualität statt Quantität ist das Motto der Investoren. Sie wollen ihren Kunden weder Häuser von der Stange anbieten noch totalen Wildwuchs auf dem engen Gelände zulassen. Deshalb schrieben sie einen landesweit offenen Architektenwettbewerb aus. „Wenn ich mich richtig erinnere ist das in Bremen der erste seit fünf Jahren“, sagt Hübotter, der selbst am Fachbereich Architektur der Hochschule lehrt. Er kennt die Sorgen der Bremer Architekten, die die exklusive Vergabepraxis in der Hansestadt seit langem kritisieren. Die Freude über den Wettbewerb war in der Zunft entsprechend groß.

72 Büros holten sich die Unterlagen, 42 gaben schließlich Entwürfe ab. Die anderen taten sich offensichtlich mit den strengen Anforderungen der Auslober schwer: Sie verlangten Entwürfe für Reihenhäuser, Doppelhäuser und zwei Größen von Einzelhäusern, die alle eine „Ausbaureserve“ vorsehen sollten. Die Jury, in der beinahe der Hamburger Star-Architekt Hadi Teherani gesessen hätte, legte besonderen Wert auf die Wirtschaftlichkeit der Entwürfe.

Gewinner war schließlich Hartmut Stechow, der als einer der ganz Wenigen Häuser mit traditionellem Satteldach geplant hat. Die Grund-risse sind variabel: Wenn die Kinder ausziehen, können die Eltern Wände verschieben und großzügige neue Räume schaffen. Aber die Entwürfe an der Spitze lagen dicht beieinander, so die Jury. Sie vergab deshalb nach dem zweiten (Wolfgang Gesselmann) zwei dritte Preise (an die Büros Hilmes & Lamprecht und Westphal & Partner). Zwei weitere Entwürfe wurden von den Auslobern angekauft. Chancen auf Realisierung haben alle sechs prämierten Entwürfe: „Wir wollen hier schließlich nicht total eintönig bauen“, sagt Hübotter. Einigen Architekten will er allerdings empfehlen, wie Stechow noch ein kleines Satteldach aufzusetzen, in dem die Ausbaureserve unterkommen könnte. Besondere Freude macht ihm, dass sich im Wettbewerb auch jüngere Entwerfer durchgesetzt haben. Kollegen von der Hochschule dagegen haben zwar ebenfalls teilgenommen, gingen aber leer aus.

49 Grundstücke müssen die Bauträger per Gesetz frei verkaufen. Dort können die Bauherrn nach ihrem eigenen Gusto bauen. Die Gefahr einer gestalterischen Anarchie sieht Hübotter dennoch nicht: In die Kaufverträge könnten Baurichtlinien eingearbeitet werden und schon der Bebauungsplan sehe einige Beschränkungen vor. So dürfen beispielweise Zäune nur errichtet werden, wenn sie in einer Hecke „versteckt“ werden. Außerdem hofft Hübotter, dass die Wettbewerbsentwürfe auch für freie Bauherren attraktiv sind: „Schließlich sind die Entwürfe sehr wirtschaftlich.“ Die Preise variieren zwischen den verschiedenen Haustypen, sollen sich aber im Bereich von 380.000 bis 600.000 Mark bewegen. Wer das für die Adresse „Gartenallee“ oder „Floraweg“ aufbringen möchte, muss sich aber noch gedulden: Baubeginn ist Anfang 2001. Jan Kahlcke

Die Pläne der sechs Preisträger zeigt die Architektenkammer (Geeren 41/43) noch bis Donnerstag von 9 bsi 16 Uhr. Vom 10. bis zum 20. Januar 2001 sind alle 42 Entwürfe in Horner Telekomgebäude (Leher Heerstraße) zu sehen.