CDU-CHEFIN MERKEL IST KEINE OSTDEUTSCHE HOFFNUNGSTRÄGERIN MEHR
: Ich liebe die Macht!

Den Ostdeutschen wird ja bis heute gerne vorgeworfen, immer noch nicht in der Bundesrepublik Deutschland angekommen zu sein. Unlocker seien sie, zaghaft und wehleidig, heißt es, den Ostdeutschen fehle es am wirklichen Verständnis dafür, was diese Gesellschaft zusammenhält. Die Ausnahmen, die jeder Westdeutsche kennt („Ja, ja, bei uns arbeiteten auch zwei Ostler, wirklich gute Leute“), gehen nicht etwa als eine Widerlegung der pauschalen Kritik durch, sondern sind nur deren vornehme Ausdrucksform. In dieser Woche durfte die Öffentlichkeit wieder einmal erleben, wie eine dieser Ausnahmen bei ihrer Reise in die Tiefen des (west-)deutschen Gesellschafts- und Politikverständnisses ans Ziel gelangt ist. Herzlich willkommen, Angela Merkel!

Das stille und in seiner Freundlichkeit geradezu brutale Auswechseln des CDU-Generalsekretärs Ruprecht Polenz hat aus Angela Merkel endgültig eine andere, eine normale Politikerin gemacht. Bisher galt die CDU-Vorsitzende ja als eines der wenigen Musterbeispiele für eine ostdeutsche Führungskraft, die es auf ihrem Weg nach oben auch noch geschafft hat, ihren eigenen Stil zu pflegen. Zuerst hieß es, Merkel sei blass, entscheidungsschwach und ahnungslos. Spätestens mit ihrem Aufstieg an die Spitze der CDU wurden diese Eigenschaften anders gelesen. Plötzlich war die spröde Mecklenburgerin offen, ehrlich und glaubwürdig. Ihr Nachteil, eine Frau und aus dem Osten zu sein, wurde plötzlich zu ihrem wichtigsten Machtinstrument: Ihr Wissen darum, wie es ist, wenn alte Gewissheiten sich plötzlich in Luft auflösen, wenn Systeme zusammenbrechen, wenn Parteien und Menschen sich verändern, schien sie zu prädestinieren, den unkonventionellen Aufbruch der CDU am Tiefpunkt ihrer Krise zu moderieren. Diese Frau an der Spitze der westdeutschesten aller westdeutschen Parteien, so hieß es, könnte für das Heranführen des Ostens an den Westen kulturell vielleicht sogar mehr bewegen als die ganze PDS zusammen. Dass Merkel kein Konzept für die neue CDU hatte, schien kein besonderes Handicap.

Und jetzt? Merkels Andersartigkeit ist Vergangenheit. Und auch die CDU ist nicht mehr die Partei von vor sechs Monaten. Damals fühlte sie sich mitten im Leben, wollte alte Gewissheiten über Bord werfen und sich erneuern. Heute zeigt sich ihre Verunsicherung in der Sehnsucht nach Führung. Sie will keine neuen Antworten, es reichen ihr schon alte Themen, mit denen sie gegen Schröder Stimmung machen kann. Die CDU ist wieder im irdischen Jammertal der Politik gelandet.

Angela Merkel hat das verstanden. Sie feuerte Polenz als Generalsekretär und sah großzügig darüber hinweg, dass die Begründung, mit der sie ihn einst eingestellt hatte, die gleiche war, mit der sie ihn nun entließ. Das kann gerade noch als souveräne Korrektur einer Fehlentscheidung durchgehen. Aber die Führungsstärke, die Merkel damit demonstrieren will, macht ihre Schwachstelle nur noch deutlicher: Sie weiß nicht, wohin sie die CDU steuern soll, und wenn sie es wüsste, könnte sie es vermutlich nicht. Laurenz Meyer als neuer Generalsekretär ist Ausdruck dieser Ratlosigkeit. Speerspitze soll er sein, mit dem Säbel soll er fechten, schön und gut. Aber was ist eigentlich mit der CDU und ihren neuen Antworten auf die Fragen der Zukunft? Einwanderung, Sozialpolitik, Gentechnologie, Internet – war da was?

Für diese Debatten hätte Angela Merkel einen Generalsekretär gebraucht. Ihre Entscheidung für die inhaltsfreie Attacke ist der schiere Opportunismus einer Parteivorsitzenden. Sie verliert damit ihre Glaubwürdigkeit, was auch immer sich damit verband. Angela Merkel ist keine Politikerin neuen Typs und schon gar kein ostdeutscher Sonderfall mehr. Wo andere Ostler noch mit devoten Gesten Einlass in die Bundesrepublik fordern – „Ich liebe Deutschland“, ruft die PDS-Vorsitzende Gabi Zimmer –, hat Merkel begriffen, wo hier der Hase langläuft. Sie ruft: Ich liebe die Macht! JENS KÖNIG