Die unerträgliche Schwierigkeit des Seins

■ Neben ungezählten anderen Theatern spielt jetzt auch das Bremer Schauspielhaus ein Stück des Norwegers Jon Fosse. Thomas Janßen lässt in seiner Einstudierung des Dramas „Der Name“ allerdings zu viele Fragen offen

In diesem Jahr brach ein Autor über die mitteleuropäischen Theater herein, wie es vor ihm nur wenigen anderen Autoren wiederfahren ist. Auch die dramaturgischen Abteilungen der deutschsprachigen Bühnen stürzten sich in einer Weise auf den Norweger Jon Fosse, als hätten die Schauspielhäuser ohne seine Stücke leer gestanden. Dazu ließen die Theater selbst und ihre Berichterstatter munter die Vergleiche sprießen. Den „Beckett des 21. Jahrhunderts“ entdeckte die Le Monde, die „größte Hoffnung der norwegischen Dramatik seit Ibsen“ sahen andere da kommen. Und während für die gemeine Leseratte im Buchhandel bislang nur das Kinderbuch „Von Kötern, Kläffern und feinen Hundedamen“ in deutscher Übersetzung erhältlich ist, hatten die Theater freie Auswahl aus zurzeit etwa zehn Stücken, die Fosse aus Geldnot Mitte der 90er zu schreiben begonnen hat. It's Fosse-Time: In Bonn war „Sommertag“ zu sehen, in Zürich kommt „Die Nacht singt ihre Lieder“ heraus und Hamburg zeigt „Das Kind“. So kam eins zum anderen und nach der deutschsprachigen Erstaufführung unter der Regie Thomas Ostermeiers für Salzburg und Berlin auch ein Fosse-Stück nach Bremen: „Der Name“, vielleicht, weil nomen nun mal omen sind.

Beate alias Das Mädchen ist hochschwanger in ihr verhasstes Elternhaus irgendwo an der norwegischen Westküste zurückgekehrt. Nun kommt auch ihr mittel- und wohl auch arbeitsloser Freund, Der Junge, nach. Das Kind, drängt sie bald, braucht noch einen Namen. Doch Der Junge hat so gar keine Lust dazu, sich einen auszudenken. Denn er liest lieber oder stellt sich etwas vor: eine Versammlung der Ungeborenen zum Beispiel. Und wie diese kleinen Seelen eine Scheißangst vor der Geburt haben und nicht wissen, zu welchen Eltern und in welches Land sie kommen. „Lass das, das macht mich traurig“, sagt Beate, also die Schöne, dann. Denn sie ahnt wohl, dass die Aussichten für ihr Kind nicht rosig sind.

Während die Familie bei den eben noch angesagten angloamerikanischen Dramatikern Nicky Silver und Co. zertrümmert wurde, bis Blut kam, kann Fosse in „Der Name“ auf körperliche Gewalt verzichten. Denn irgendwann einmal gelangten Das Mädchen und Der Junge in einem Niemandsland ihrer Beziehung an. Und da hocken sie nun vor und trotz der bevorstehenden Geburt. Vielleicht war da mal etwas anderes. Doch jetzt steht das Gefühlsleben der beiden bis auf winzige Klitzekleinigkeiten von Spontaneitäten kurz vor der Vereisung.

In Fosses Welt scheint das der normale Zustand des Erwachsenen zu sein. Denn auch Beates Eltern, der immer müde, rauhe, wie aus einem Marieluise-Fleißer-Stück entsprungene Vater und die fußkrank-schmerzgeplagte Mutter, sind als „Ja ja“- und „Mm hmm“-Sager und vor allem Schweiger westnorwegische Kühlschrank-Charaktere. Nur Beates Schwester wirft mal einen scheu-lüsternen Blick auf den Freund ihrer Schwester, wenn sie sich nicht gerade draußen am Kiosk aufhält – wie man sich auf dem Land eben am Kiosk oder an einer Bushaltestelle aufhält, um etwas von der Welt mitzubekommen. Und dann ist da noch der Jugendfreund Bjarne, der erst als Tschechow'sche Sehnsuchtsgestalt durch die kargen Dialoge geistert und dann auch persönlich hereinschneit. In diesem Wiedersehen lodert kurz etwas Feuer auf und verlischt dann doch. „Ja ja“, „Ja jetzt regnet es richtig“, „Ja ja“, lässt Fosse seine Figuren sagen und schreibt oft „Blicke. Lange Pause“ in die Regieanweisungen.

Thomas Janßen hält sich weitgehend daran. Der Regisseur der Bremer Einstudierung hat diese Versammlung der abgrundtief Traurigen in einer durch hohe Wände zum Schacht verengten Bühne eingerichtet. Abgenutzte 60er-Jahre-Möbel mit höhen-verstellbarem Couchtisch inklusive stehen auf der Szene (Bild: Jasenko Conka). Das von Ulrike Schörghofer teils farbig kostümierte Personal – rot Das Mädchen, grün Die Schwester und Die Mutter, grau die Männer – stellt oder setzt sich bald dazu. Oder es geht ab, um sich wieder und wieder „mal eben hinzulegen“, zum besagten Kiosk zu laufen und – o Gipfel der Gefühle – zum Schiffe-Gucken auf den wind-umtosten Hügel zu klettern. Ihr Lieben, versteht mich nicht falsch: Da verbirgt sich wirklich viel Komik drin.

Bei Fosse, heißt es, ist das Wesentliche das Nicht-Gesagte. Eine Regie muss die Kunst der Pause können. Das Spiel mit der Andeutung gesellt sich hinzu. Herr Janßen inszeniert, was im Stück steht, nämlich – wie man so sagt – ein minimalistisch-hypernaturalistisches Drama. Da ist Beklemmung, da ist Kälte, da sind gerade im Kontrast zu den winzigen Herzlichkeiten Trott, brutale Gleichgültigkeit und ein Wissen vom anderen, das sich mit dem bloßen Gerücht begnügt. Anika Mauer als Mädchen, Christian Schmidt als Junge, Gabriele Möller-Lukasz als Mutter, Sebastian Dominik als Vater, Tanja Schupnek als Schwester und schließlich Raiko Küster als Bjarne bringen all das schon rüber – gelegentlich, streckenweise.

Doch irgendwie steckt in dieser Inszenierung der Wurm. Nie habe ich die großartige Anika Mauer so ratlos wirkend spielen sehen. Und auch Gabriele Möller-Lukasz und Sebastian Dominik, die seit ihrem Auftritt als Baucis und Philemon im Faust II die Bremer Traumbesetzung für ein altes Paar sind, scheinen sich eher durchzuwurschteln, weil die Inszenierung zu viele Fragen offen lässt. Warum zum Beispiel ist der Beate das einsam gelegene Elternhaus so verhasst? Weil's eben so zugeht im hier überraschend alkoholabstinenten Norwegen? Oder war da mal was, von dem wir nichts erfahren sollen? Die selbst in kleinen Pausenmusiken ziemlich monochrome Einstudierung verweigert Antwort und mag sich auf keine Seite schlagen – nicht auf die ganz brutale, noch auf die wirklich komische. So wollen einem die Figuren fast durchweg gleichgültig bleiben. Schade. Denn das haben sie nicht verdient.

Christoph Köster

Weitere Aufführungen: 29. 10. um 15.30 Uhr (mit Babysitter-Service!), 1., 3., 13., 15. und 29. November,20 Uhr, im Schauspielhaus