Offene Messer

Schalke und Leverkusen trennen sich 0:0, der große Respekt voreinander lähmt den Tordrang ganz erheblich

GELSENKIRCHEN taz ■ So ein 0:0 macht ein Publikum selten glücklich. Man wartet 90 Minuten und wartet doch vergeblich auf den einen Moment zum großen Jubel. Für den Anhang des FC Schalke 04 war das am Samstag besonders ärgerlich, denn ein Sieg über Bayer Leverkusen hätte die Rückkehr an die Tabellenspitze bedeutet.

Die Schalker Spieler bewerteten das Unentschieden pragmatischer. Vermutlich ist ihnen klar, dass sie sich nach eher leichtem Auftaktprogramm, das Gäste wie Köln, Cottbus und Frankfurt ins Parkstadion gebracht hatte, mittlerweile verstärkt mit Mannschaften der besseren Sorte auseinander setzen müssen. „Gegen einen Gegner wie Leverkusen kann man nicht spielen wie gegen Frankfurt“, erklärte Jörg Böhme das erste torlose Heimspiel.

Und im Chor mit Andreas Möller fügte er die Zauberformel des Abends an: „Wir wollten nicht ins offene Messer rennen.“ Huub Stevens gab seinen trainerlichen Segen: „Man darf nicht vergessen, dass Leverkusen eine sehr gute Mannschaft ist, und wir wollten nicht in Rückstand geraten.“ Da blieb auch Rudi Völler, dem Teamchef der Gegenseite, nur übrig zu verraten: „Wir wollten nicht ins offene Messer laufen.“ Also war das „normalerweise offensivere Spiel“ (Völler) der Leverkusener verhalten. „Wir wollten kontrolliert spielen“, sagte zwar Andreas Möller. Aber vieles, was zu diesem Spiel gesagt wurde, war eben hüben wie drüben gleich.

Und der gegenseitige Respekt führte in der ersten Halbzeit zu einer statischen Partie, in der beidseitig das defensive Stellungsspiel weit besser war als die Angriffsideen. Später zog Schalke das Tempo an. „Wir wussten, dass es für Leverkusen in der zweiten Halbzeit schwerer werden würde“, sagte Stevens. Denn, wie die Leverkusener bestätigten, es hat durch die vielen englischen Wochen wegen der Champions-League-Spiele „Einbußen in der Kraft“ (Jens Nowotny) gegeben, weil eben „der Kraftaufwand riesig“ (Völler) war.

Schalke wurde dominanter und hatte die allerbeste Chance des Spiels, als Mpenza nach einer Stunde allein auf Leverkusens Torwart Matysek zulief, der sich ihm entschlossen stoisch in den Weg kniete. Bayer kam daraufhin, vermutlich unter Aufbietung aller Restenergie, binnen weniger Minuten selbst zu drei hervorragenden Torchancen.

Und dreimal parierte Oliver Reck mit erstaunlichen Reflexen, erst einen Schuss von Brdaric (69.), dann einen Kopfball von Hoffmann (76.) und schließlich eine etwas verrutschte Freistoßweiterleitung von Neuville (83.). Stevens sagte: „Olli ist Olli.“ Reck sagte nichts, vielleicht weil er keine Lust hatte, seine Befriedigung mit Menschen zu teilen, die ihn zu anderen Gelegenheiten genüsslich als Pannen-Olli verhöhnen. Matysek hingegen sagte „tolle Sache“, was sich auch darauf bezog, dass Leverkusen mit ihm statt dem gesperrten Zuberbühler im Tor nun dreimal zu null gespielt hat.

„Toll“, kommentierte Völler. Und ergänzte, nach seinem ersten nicht gewonnenen Spiel als Trainer, dass „das Unentschieden in Ordnung geht“.

„Gerecht“ fand es auch Manager Reiner Calmund, der sich an diesem Abend entschlossen hatte, einmal nichts zur großen Daum-Affäre zu sagen. Ersatzweise hat er sich in den letzten Tagen mit dem Transfer von Mittelfeldspieler Gresko zu Inter Mailand befasst, der Bayer nach italienischen Presseberichten 15 Millionen Mark einbringen wird.

Rudi Völler würde vielleicht auch gern mal nur über den eigentlichen Inhalt seiner Arbeit sprechen. Aber das geht nicht, denn außer Menschen wie Schalkes Manager Rudi Assauer („Es gibt immer Alternativen“) scheint sich kaum jemand vorstellen zu können, dass die Nationalmannschaft ohne Rudi Völler überhaupt eine Chance auf Weiterbestand hätte. Völler selbst will binnen der nächsten zehn Tage „mit Leverkusen und dem DFB eine Lösung finden“, die „keinen Kompromiss“ bedeutet, wie es seine eigene Doppelrolle im Moment tut. Dass seine eigene Präferenz bei der Arbeit mit der Nationalmannschaft liegt, hat er bereits erkennen lassen.

Und doch ist Völler sich, wenn er mal Zeit hat, darüber nachzudenken, der Absurdität seines Status als Retter der Nation inzwischen durchaus bewusst. „Man darf nicht vergessen“, sagt er, „dass ich vor vier Monaten noch gar kein Trainer war.“

KATRIN WEBER-KLÜVER