Gener@tionengerechtigkeit

Digitale Demokratie (3): War der Generationskonflikt bei den 68ern noch ein ideologischer Gegensatz, so kommt er heute als digitale Spaltung der Gesellschaft daher

Die Motivation für politisches Engagement in der Generation @: In meiner digitalen Welt bestimme ich!

Telearbeit und Teleshopping, E-Business und E-Demokratie, Online-Banking und Online-Learning, die Liste der Modelle und Metaphern für die Arbeits- und Lebenswelt einer Informationsgesellschaft ließe sich beliebig fortsetzen. Hätte man früher vielleicht nur gefragt: Wer soll das alles zahlen? – so muss man heute ergänzen: Wer soll das alles wahrnehmen?

Und in der Tat: Bildungskonzepte, Geschäftsideen und politische Partizipationschancen, die im Zusammenhang mit den so genannten neuen Medien stehen, werden an den prognostizierten Vorlieben und Kompetenzen einer neuen Generation von Mediennutzern ausgerichtet. Die Visionen von einer Informationsgesellschaft sind also auf Gedeih und Verderb mit den Kindern der digitalen Revolution verbunden, die in der öffentlichen Debatte unter dem Label der Generation @ oder Netz-Generation subsumiert werden. Unter diese Begriffe fallen aber keineswegs nur die Kids, die mit Internet und Handy wie selbstverständlich aufwachsen, sondern auch diejenigen, die in den 80er-Jahren als Erste mit Homecomputern in den Kinderzimmern experimentierten und heute als prototypische Internet-Nutzer der ersten Stunde reüssieren. Inzwischen um die dreißig, meist männlich und sozioökonomisch privilegiert, besetzen sie die Spitzenjobs in der wachsenden New-Media-Branche und gelten als Hoffnungsträger der neuen Ökonomie.

In Generationsdebatten manifestieren sich jedoch nicht nur kulturelle oder gar politisch-ideologische Gegensätze zwischen den Altersgruppen, sondern werden vor allem gesellschaftliche Problemlagen und Herausforderungen bezeichnet, die einen nachhaltigen Wandel herbeiführen können. Gegenwärtig scheint von der Gesundheits- über die Steuer- bis zur Rentenreform kein Politikfeld ohne den legitimierenden Verweis auf die Generationengerechtigkeit auszukommen. Aber ebenso wie die Dimension einer sich verkehrenden demografischen Struktur (weniger Junge – mehr Alte) konsequent ignoriert wurde, hat man auch die Möglichkeiten digitaler Medien und insbesondere deren jugendkulturelle Aneignung erst allmählich differenziert betrachtet.

Wie bei derartigen gesellschaftlichen Debatten über zentrale neue Technologien üblich, sind Apokalyptiker und Integrierte aufgetreten, haben die Risiken und Chancen gegeneinander abgewogen, vor kulturellen Brüchen gewarnt oder einen Wertewandel beschworen. Diese ambivalenten Darstellungen und Deutungen von jugendlichem Medienhandeln geben einen netten Einblick in die Diskurstechnik der gesellschaftlichen Kulturkritik. So werden passive Zuschauer zu aktiven Usern, sinnentleerte Zapper zu kreativen Netzsurfern, kriminelle Hacker zu Garanten der Transparenz und Datensicherheit – und nicht zuletzt Schüler zu Lehrern, die ihre Pauker erst einmal online bringen müssen, bevor überhaupt an vernetzten Unterricht zu denken ist.

Konnte ein Generationskonflikt bei den 68ern noch als politisch-ideologischer Gegensatz dargestellt und mystifiziert werden, so kommt er gegenwärtig als digitale Spaltung daher: Die Gesellschaft zerfällt demnach in digitale Obdachlose und Netzwerk-Nomaden, die in den Datenwelten des Internet zu Hause sind. Es droht vor allem eine Trennung zwischen den jüngeren „Informationsreichen“ mit Zugang zu den neuen Medien und den älteren „Informationsarmen“, denen diese Informations-, Kommunikations- und Partizipationschancen verschlossen bleiben.

Die Vervielfältigung verfügbarer Inhalte ist jedoch nicht ohne die Vermehrung der Informationskanäle denkbar, durch die oft identische Informationen in verschiedene Formate fließen und als Informationsflut über den unkundigen User hinwegrollen. Damit wird deutlich: Entscheidend ist nicht die potenziell erreichbare Information, sondern das Wissen um ihre Selektion, Bewertung, Verarbeitung und ihre zweckorientierte Verwertung. Auch wenn eine inhaltliche Bewertungskompetenz nach wie vor bei den Erwachsenen zu verorten ist, stehen dem neue Kulturtechniken entgegen – wie das Springen von Informationsinsel zu Informationsinsel oder die flexible Herstellung von Orientierungen und Kontinuität in einer nichtlinearen High-Tech-Kultur.

Damit ist auch der grundlegende kulturelle Bruch zwischen den Generationen markiert, der nicht nur einen Wandel des Informations- und Kommunikationsverhaltens, sondern auch der politischen Partizipationschancen bedeutet. Und diesem Bruch wird weder ein Festhalten an einem veralteten Demokratieverständnis gerecht noch das Beharren auf einem bürgerlichen Bildungskanon, dessen Legitimation in seiner Relevanz allmählich fraglich geworden ist. Der Kampf um die relevanten Wissensbestände in einer Wissensgesellschaft steht auf dem Lehrplan und wird unter den Bedingungen der digitalen und interaktiven Medien geführt. Ob er im Konflikt oder Konsens reguliert wird, hängt maßgeblich davon ab, in wieweit die Älteren bereit sind, von den Jüngeren zu lernen, und ob sie anerkennen, dass diese bereits in vielen relevanten Gesellschaftsbereichen angekommen sind.

Die Anzeichen dafür sind vielfältig. Wurde Jugendlichen vor dem Hintergrund des Lehrstellenmangels noch vor wenigen Jahren der Weg in die Arbeitswelt der alten Ökonomie unter dem Hinweis auf mangelnde Basisqualifikationen beim Lesen, Schreiben und Rechnen verwehrt, so sucht die neue Ökonomie heute händeringend nach qualifiziertem Nachwuchs. Erstmals werden in diesem Jahr mehr Ausbildungsplätze als Schulabgänger zu verzeichnen sein. Die „Green-Card-Debatte“ hat dies vorgeführt und die Versäumnisse in der Bildungspolitik, die sich den neuen Anforderungen nur zögerlich angepasst hat, aufgedeckt.

Der klassische Bildungskanon wird durch die digitalen und interaktiven Medien in Frage gestellt

Wer diese Situation als Jugendlicher erfasst und auf seine Fähigkeiten vertraut hat, ist längst in einem Startup tätig und hat kein Interesse mehr daran, die eigenen Visionen gegen eine Ausbildung und Karrierechancen in einem Großkonzern der New-Media-Branche einzutauschen. Die Nutzung der neuen Medien für politische Interessen ist ebenfalls zweckorientiert und nicht mehr an die etablierten Strukturen und Organisationsformen des Politischen gebunden, sei es bei der Information, der Kommunikation und Organisation von Protest – online wie offline – oder der Partizipation an politischen Prozessen durch Online-Petitionen.

Die Motivation für ein gesellschaftspolitisches Engagement der Generation @ lässt sich vielleicht am ehesten mit dem Slogan aus den aktuellen Lego-Werbespots beschreiben: „In meiner Welt bestimme ich“ – und die ist digital.

EIKE HEBECKER