nebensachen aus peking
: Unmögliche Vertrautheit

Veränderung ist die Konstante

Kaum glaubte man, sich mit Peking ein wenig vertraut gemacht zu haben, ist die Stadt schon wieder eine andere. Dabei fiel es uns von Anfang an nie leicht, die coole Kaiserstadt ins Herz zu schließen. Wie viel mühsamer Verhandlungen hatte es bedurft, damit der Marktverkäufer dem Fremden endlich die Preise der Einheimischen gewährte. Doch als dann endlich der Moment erreicht war, da die Marktleute vor der Haustür den täglichen Gruß an die neu hinzugezogenenen nicht mehr scheuten, waren die Händler wenig später alle verschwunden.

Dafür ließ die Stadtverwaltung rund um unseren Wohnblock die Gehsteige mit roten und grünen Pflastersteinen neu verlegen. Auf ihnen darf nicht einmal mehr der Tofubäcker frühmorgens den Kindern auf dem Schulweg sein Frühstück anbieten.

Neue rot-grüne Bürgersteige gibt es auch in der berühmten Sanlitun-Straße, wo bei unserer Ankunft in Peking vor drei Jahren gerade die ersten westlich eingerichteten Künstlerbars und Rockcafés geöffnet hatten. Damals mussten Pioniere wie der elegante Barbesitzer Henry Lee, bei dem sich die heimliche Rockszene der Hauptstadt traf, die regelmäßigen Polizeirazzien in der Straße fürchten.

Heute betreibt Lee, immer noch im schwarzen Lederoutfit, den rosa getünchten Trendschuppen „Club Vogue“, eine Kultdisco für Neureiche, und noch im Herbst will der tüchtige Gastwirt einen Techno-Treff für die Jugend und eine Lounge-Bar für die Zahlungskräftigen eröffnen.

Auf der Sanlintun-Straße ist derweil die Verwandlung von der Intellektuellen-Meile zum Kommerzbetrieb nahezu abgeschlossen. Man kam sogar auf die Idee, unter die Terrassentische, an denen früher viel über Freiheit und Demokratie geredet wurde, Plexiglasvitrinen für Werbezwecke einzulassen.

Vielen geht die Kompletterneuerung der Hauptstadt zu weit. Als kürzlich der alte Ziegelhof (Hutong) eines klassischen chinesischen Schriftstellers dem Bau einer neuen Straße zum Opfer fiel, entzürnten sich Anwohner und Literaturliebhaber. Der Protest war nur allzu verständlich, ging es doch um das Andenken an den Verfasser des alten Lieblingsbuches vieler Chinesen, des Romans „Der Traum der roten Kammer“ nämlich. Darin rettet ein entarteter Familienaußenseiter sein edles Geschlecht. Heute scheint der Platz für Außenseiter in Peking begrenzt: Man vertreibt sie – die Marktverkäufer, Tofubäcker und Ziegelhausbewohner – an den Stadtrand, wo ständig neue Satellitenstädte entstehen.

Und doch ist die Klage über Pekings neue Sterilität eine verlorene Sache.

Denn natürlich wollen die Hauptstädter den Schmutz der Dritte-Welt-Metropole wegwaschen. Unsere Nachbarn sind froh über die sauberen Bürgersteige, und sie sind glücklich, dass es vor der Haustür nicht mehr nach moderndem Gemüse und faulen Eiern riecht. Sie gehen jetzt am Wochende mit der ganzen Familie auf die Sanlitun-Straße, um dort in einem Café einen Cappuccino zu schlürfen, gerade so, wie es früher nur die westlichen Touristen tun konnten.

Wir aber, die darum trauern, dass Markt- und Hinterhofleben inmitten angeberischer Neubauten ihr Ende nehmen, müssen uns Peking ein zweites Mal aneignen.

Hoffnungslos ist das nicht. Uns könnte das geplante, immer noch umstrittene Nationaltheater am Tiananmenplatz gefallen. Der Entwurf ist das futuristische Werk eines französischen Architekten, und seine Befürworter sagen, es passt zu Peking wie einst das neue moderne Centre Pompidou zum alten Paris.

Wenn es so weit ist, kann aus Sterilität noch Schönheit erwachsen.GEORG BLUME