Allegorie des Terrors

■ Der junge Regisseur Michael Schulz hat Puccinis blutrünstige Oper „Tosca“ in die Neuzeit verlegt. Seine Inszenierung am Bremer Theater legt gekonnt die Archetypen der ewigen Ränkespiele um die Macht bloß

Der junge Regisseur Michael Schulz hatte im Vorfeld deutlich gesagt, dass er „Tosca“ nicht interpretieren, sondern ganz einfach die Geschichte erzählen will. Schließlich lasse, so Schulz weiter, die 1900 geschriebene Musik von Giacomo Puccini in ihrer psychologischen Präzision auch gar keinen Raum für eine von ihr losgelöste Interpretation. „Einfach die Geschichte erzählen“ – eine solche Ankündigung macht misstrauisch. Denn erfahrungsgemäß sagen sowas immer jene Regisseure, die hernach eine Version auf die Bühne bringen, die die Mühe einer schlüssigen, zeitgemäßen Inszenierung durch ödes sängerisches Rampentheater ersetzen.

Doch dieses Misstrauen erwies sich als unbegründet. Denn die von Schulz am Bremer Theater in Szene gesetzte Version gab sich alle Mühe, um der blutrünstigen Geschichte – einer wahren Begebenheit an einem Junitag 1800 in Rom – ihre Aktualität zu bescheinigen. In seiner Interpretation wurden die Vorgänge um Eifersucht, Machtpolitik, Gewalt, Vergewaltigung und Erpressung quasi überzeitlich und damit archetypisch deutlich.

Zwei Bilder der gelungenen Inszenierung fallen aus diesem Ansatz allerdings in negativer Weise heraus. So wird am Ende des ersten Aktes dem Diktator Scarpia von einer nackten Frau, in deren Armen er dann versinkt, die Bischofsmitra aufgesetzt. So schlüssig diese sinnbildliche Verquickung von Macht und Sexus psychoanalytisch auch ist, so plakativ, ja sogar platt wirkt sie auf der Bühne. Die zweite fragwürdige Szene betrifft Toscas Tod. Als sie den Leichnam von Cavaradossi entdeckt, springt sie nicht von der Engelsburg, sondern wird erschossen, womit ihr Schulz ohne nachvollziehbaren Grund auch noch den letzten Akt der Selbstbestimmung in einem Terrorsystem nimmt.

Dennoch: Indem Schulz also sehr genau „erzählte“, erreichte er sehr viel. Er verlegte den Spielort in die Neuzeit. Der Polizei- und Folterstaat war erkennbar an allen Ecken; so wenn im mit modernen Skulpturen ausgestatteten Büro des Scarpia nach hinten die Tür aufgeht und der ganze Sicherheitsapparat zu sehen ist, wenn direkt daneben – grün gekachelt und mit Ärzten gefüllt – der Folterraum liegt.

Trotz des Titels „Tosca“ läuft die Personenführung auf eine Akzentuierung von Scarpia und seinen perversen Machenschaften hinaus, denn an ihm zerbrechen alle. Das Bühnenbild von Michael Scott mit seinen wohl überlegten und dramaturgisch strukturierenden Beleuchtungswechseln unterstützte die Inszenierung ebenso, wie sie sie trug.

„Tosca“ ist vor allem eine Oper der Sänger-Schauspieler. Im neunzehnten Jahrhundert triumphierte Sarah Bernhard im Schauspiel von Victorien Sardou, und im letzten Jahrhundert gab es die Tosca schlechthin: Maria Callas. An diesem Abend sangen zwei von Günter Neuhold gefundene Gäste aus Italien in Titelrollen: Paola Romanò die Tosca und Mauro Nicoletti den Cavaradossi.

Romanò, leider von Michael Scott beleidigend unvorteilhaft angezogen, fehlte in der Stimme noch Natürlichkeit und Souveränität. Da wurde leicht geflackert und gedrückt. Aber das ist nichts Grundsätzliches, an sich ist Romanò eine ideale Besetzung. Umso mehr, als sie schauspielerisch eine große Palette zu bieten hat, von der zickigen Eifersüchtelei des Anfanges bis zur Größe ihrer Auflehnung gegen Scarpia. Bei Mauro Nicoletti war's umgekehrt: Zu seiner makellosen Stimme gesellte sich eine etwas holperige Darstellung.

Michael Schulz achtete gut darauf, dass die vokalen „Hits“ ihre dramaturgische Einbindung behielten. Das war gar nicht so leicht, nachdem nach der ersten Tenor-Arie das Publikum ein grölendes italienisches Verona-Verhalten an den Tag zu legen gedachte. Sein „E lucevan le stelle“ wurde so eine glaubhafte Figur aus Gesten, Haltung und vokalem Ausdruck, vollkommen jenseits tenoraler Selbstdarstellung. Da war kein Beifall möglich.

Alan Cemore interpretiert Scarpia nicht vordergründig als jähzornigen Dämon, sondern als eiskalten und aalglatten Machthaber. Wie er im ersten Akt ziemlich unvermittelt im weißen Anzug im Spotlicht steht, einfach nur steht, das hat was. Da Cemore auch eher ein lyrischer Bariton ist, erfüllt er keinesfalls ein Klischee des wütenden Heldenbaritons. Diese Interpretation ist im Zusammenhang mit der perversen Figur eher auf einer inneren psychologischen Ebene angesiedelt.

Und mindestens hat Michael Schulz in einem Recht: Wie sehr die Musik uns über alle Adern anspringt, keinen Raum lässt für übergeordnetes Reflektieren, das war gut aufgehoben bei Günter Neuhold und dem Philharmonischen Staatsorchester. Das ist seine Musik, was nicht heißt, dass er in ihr badet. Im Gegenteil, die Orchesterinterpretation überzeugte durch Genauigkeit, Schlankheit, leistete sich keine übertriebenen lyrischen Umschweife. Gelegentlich ging das Orchester über die SängerInnen hinweg, ganz besonders bei Cemore. In wichtigen Nebenrollen fielen Bartholomeus Driessen als Angelotti, Karsten Küsters als Mesner und Ronald Naiditch als Polizeichef Spoletta auf. Viel Beifall für eine mit Sicherheit publikumswirksame „Tosca“.

Ute Schalz-Laurenze

Die nächsten Aufführungen: 31. Oktober, 19.30 Uhr; 5. November, 15.30 Uhr; 11., 23., 25. November, 19.30 Uhr im Theater am Goetheplatz. Karten Tel.: 365 33 33, www.bremertheater.com