tamtürktür: ein wahrer türke (1)
:

von JENS HALBERBOCK

Als kleiner Junge habe ich in Hamburg gewohnt, einer Stadt, in der einst nicht nur unglaublich viele Fischgesichter zu Hause waren, sondern auch ein großer Teil jener Menschen, die man in den 70er-Jahren noch straflos „Gastarbeiter“ nennen durfte. Heute werden sie „Migranten“ geheißen oder „erste Generation ausländischer Mitbürger in Deutschland“.

Die Türken unter ihnen erkannte ich in jenen Tagen daran, dass sie ihre echten Zähne ersetzt hatten durch solche, die aus Gold waren. Ich nahm zumindest an, dass es Ersatzzähne waren. Wenn den Türken nämlich von Natur aus Goldzähne wüchsen, so dachte ich, warum hätten sie dann nach Deutschland kommen sollen? Jedenfalls konnte ich damals alle Türken als Türken daran erkennen, dass sie ihr Lächeln durch Goldzähne noch heller erstrahlen ließen. Und heute? – Heute ist das anders. Die älteren Türken haben sich ihre Goldzähne längst wieder ziehen lassen und durch eine zweite Kunstzahngeneration ersetzen lassen. Ja, wenn sie nicht nach wie vor noch Pluderhosen, Pudelmützen und Schnurrbärte, respektive Schleiereulenbrillen, Sackmäntel und Kopftücher trügen, wären sie gar nicht mehr als Türken zu erkennen.

Ihre Enkel aber – jene Menschen der so genannten dritten Migrantengeneration – sind nachgerade gar nicht mehr zu erkennen: Neulich erst krawallte mich eine Brötchenverkäuferin an, ihr doch gefälligst die passenden Münzen zu geben; Wechselgeld könne sie mir „auf gar keinen Fall rausgeben! Was meinen denn Sie, so kurz vor Ladenschluss?!“ In einem plötzlichen Anfall von „Auch in der Servicewüste Deutschland ist der Kunde König“-Laune, die ich eigentlich gar nicht schätze, wollte ich die Backwarenschabracke kapitalistischklassisch zusammenfalten und sie dabei – ganz der mächtige Herrscher – mit ihrem Namen ansprechen. Dieser Plan wurde jedoch durch einen Blick auf das entsprechende „Es bedient Sie XY“-Schild am Kittelrevers vereitelt. Dort stand nämlich der türkische Name „Altindis“.

Schlagartig war ich so verwirrt, dass ich gar nicht erst zur Tirade anhub. Nie zuvor war mir ein derartiger Fall von massiver Integration in die deutsche Gesellschaft untergekommen: herumkötern wie ein altes deutsches Waschweib und türkischstämmig sein. Ich drehte mich vor Freude auf meinem linken Bein dreimal um mich selbst und gratulierte der jungen Frau überschwänglich zu ihrem Supimultikultibehaverismus. Bei einem Brötchen kamen wir ins Plaudern: Sie sei, so krümelte sie mir, eine von vielen türkischstämmigen Menschen, die als solche überhaupt nicht mehr zu erkennen sind. „Von uns Tarntürken gibt es mittlerweile hunderttausende. Sie sind überall! Man erkennt sie nur nicht.“

Da sie in einer „Bidentität“ aufwüchsen, sei es leicht, einen „Deutschen zu bauen“. Kanaksprak spreche niemand, es sei denn, er heiße Feridun Zaimoglu, stamme eigentlich aus Kiel und wünsche sich, dass seine Einwegsätze wiederverwertet werden. Und dann schimpfte sie wörtlich: „Zaimoglu tamtürktür! Er ist ein wahrer Türke – so wie Lea Rosh keine israelische Jüdin ist.“