Rendezvous mit Wladimir Putin

Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien trüben das Tauwetter zwischen Paris und Moskau nur wenig

PARIS taz ■ Zehn Monate lang hat Wladimir Putin den Franzosen die kalte Schulter gezeigt. Er reiste nach Berlin und London, nach Madrid und in den Vatikan und traf dreimal den US-Präsidenten. Bloß Frankreich, dessen Staatspräsident Jacques Chirac die Massaker in Tschetschenien energischer kritisierte als irgendeiner seiner EU-Kollegen, ließ Putin hängen. Umso sehnlicher wurde er am Sonntagabend in Paris erwartet, auch wenn es sich bei der dreitägigen Visite offiziell nicht um einen Staatsbesuch, sondern bloß um die Teilnahme am 6. europäisch-russischen Gipfel handelt.

„Tout Paris“ will Putin treffen – von der Staatsspitze über die Crème der französischen Patrons, die mit Geschäften in Russland auf den zehnten Platz der ausländischen Investoren abgesackt sind, bis hin zu Stars aus dem Showbusiness. Die Politiker gossen bereits viel Wasser in ihren Wein. Der sozialistische Außenminister Hubert Védrine beispielsweise, der auf dem Höhepunkt der Bombardements von Grosny eine Unterbrechung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit der EU mit Russland verlangt hatte, versicherte im Vorfeld des Besuchs, Russland arbeite an einer „Normalisierung“ der Situation in Tschetschenien.

Solche Beschwichtigungen hat Brigitte Bardot nicht nötig. Die Frankreichs Rechtsextremen nahe stehende Ex-Schauspielerin, die Russland wegen seines Tierschutzes lobte und keine Menschenrechtsverletzungen kritisierte, ist zum Rendezvous mit Putin in der russischen Botschaft geladen.

Angesichts des franko-russischen Tauwetters halten bloß noch ein paar hundert Intellektuelle die Fahne der Aufrechten hoch. Für gestern Abend riefen sie in Paris zu einer europäischen Demonstration gegen die Massaker in Tschetschenien auf. Im krassen Gegensatz zu den Wünschen des Gastes, der von der EU eine Schuldenreduzierung erwartet, wollen die Menschenrechtler Hilfe für Moskau blockieren, solange die Massaker anhalten. Ihr Argument: „Mit Krediten an Moskau finanziert die EU den Krieg und die Massaker in Tschetschenien.“

Tschetschenien war nicht der einzige Anlass für die franko-russischen Verstimmungen. Für Moskau war es Verrat, dass Paris im Kosovo-Krieg ganz auf die Nato setzte. Auch die Arbeit des französischen Kosovo-Verwalters Bernard Kouchner sieht Moskau kritisch. Hoch schlugen die diplomatischen Wellen im Sommer, als auf Verlangen eines Schweizer Unternehmens sämtliche diplomatischen Guthaben Russlands in Frankreich wochenlang von einem Gericht blockiert wurden. Als im Juli auch noch das Segelschulschiff „Sedow“ im Hafen von Brest mehrere Tage „konfisziert“ wurde und das Gerücht kursierte, Putins Flugzeug würde bei einem Paris-Besuch ebenfalls im Tausch für russische Schulden beschlagnahmt, drohte Moskau mit „Vergeltung“ an französischem Eigentum in Russland.

Nachdem die Konten freigegeben wurden und die Tschetschenien-Kritik leiser wurde, suchte auch Moskau wieder nach Berührungspunkten mit Paris. Gefunden wurden sie in der gemeinsamen Forderung nach Aufhebung des Irak-Embargos und nach einer Stärkung der UN-Rolle im Nahost-Konflikt. Putin, der in den vergangenen Monaten meisterhaft die EU-internen Konkurrenzkämpfe um Russland ausnutzte, erinnerte kurz vor seiner Reise ausdrücklich an diese „franko-russischen Gemeinsamkeiten“. DOROTHEA HAHN