Euro-Würstchen

Die taz führt an die bösen Orte dieser Stadt, Teil 12: Das Völkerkundemuseum und Leitkultur  ■ Von Peter Ahrens

Die grüne Erbsensuppe mit Mettwurst (Erbsen über Nacht einweichen, mit dem Einweichwasser zum Kochen bringen und die Würste hinzugeben) – das Symbol des europäischen Hauses. Europäisches Haus, das klingt gut, klingt erheblich besser als europäische Leitkultur, meint aber dasselbe. Erbsensuppe, Ostereier, Hochzeitskleid – die europäische Abteilung des Museums für Völkerkunde an der Rothenbaumchaussee beantwortet alle Fragen, die ein Herr Merz so hat, wenn er nachts nicht schlafen kann, weil der böse Osman inklusive Schnauzbart an der Haustür kratzt und auf türkisch ich will rein ruft.

Ein paar Quadratmeter Raum: genug Platz für 2000 Jahre Abendland – plus Slawentum und Wikinger und Mittelalter und DNA-Spirale und Sparstrumpf. Zwischen Europa und dem Stier und der Luther-Bibel (“Die Wurzeln Europas“) sind die Sinti und Roma (“Die Zigeuner“) eingequetscht. Direkt neben der Hexerei (Traumfänger, Drachenblut) und dem Tarotspiel grüßt Galilei, Kopernikus neben dem Ziegenbocksbart – Europa ist ein Sammelsurium. Das Museum ist nicht dazu da, die Welt zu strukturieren, sondern das Durcheinander als solches darzustellen. Das ist gelungen. In einer Ecke ist passend dazu ein Gemischtwarenladen platziert: „Supermärkte wurden zwar eher in den USA erfunden, gleichwohl sind sie mittlerweile auch bei uns überall zu finden.“ Döner auch, McDonalds auch, auch wenn die nicht ausgestellt sind. Ist doch egal, ist ja alles europäisches Haus.

Wir sind Europa, sangen dereinst junge sympathische Menschen mit sauberem pickelfreiem Teint im SPD-Wahlspot. Wen meinen die mit wir? Das alte Paar in Ausgehtracht, Nidwalden, Schweiz? Die Blechmarkierung für Wanderzeichen, das Kursteilnehmerbuch Agrarsoziologie, Rumänien? Das ungarische Frühstück (“Die Männer beginnen das Frühstück mit einem Glas hausgebranntem starken Schnapses“), den griechischen Milchkuchen, den Damenstrohhut mit Federn? Warum ist eine Pioniertrompete ausgestellt und kein Ikea-Katalog? Was ist mit Asterix, dem Scherbengericht, was mit Zlatko? Herrn Merz wird es schon ganz schwindelig. Alles dreht sich um ihn. Nur noch wie im Rausch nimmt er die 50 verschiedenen Bierflaschen wahr. Ein gelungenes Beispiel für kulturelle Vielfalt. Ans deutsche Reinheitsgebot reicht ein Tuborg natürlich nicht heran. Aber präsentierenswert ist das doch, dass auch die anderen in Europa sich an der Kunst des Bierbrauens versuchen. Fördert die Europa-Besoffenheit.

Herr Merz taumelt. Aber er fängt sich wieder. Denn im Zentrum des Raumes findet er Halt. Dort wird endlich klar, worüber sich Europa definiert. Nimmt schließlich den meisten Platz der Ausstellung ein: Deutsche Uniformen. Der Unteroffizier des Leib-Grenadier-Garde-Regimentes. Das ist Tradition. Auf diese Schweine können Sie bauen. Oder noch besser: Der Nachtwächter Hamburg, 19. Jahrhundert. Das ist Europa.

Tipp: Wenn man geschälte Erbsen verwendet, fällt die Einweichzeit weg.