Irokese in electroniccountry

■ Saxophonpunk Ted Milton kam nach Bremen – aber nicht mit seiner Band Blurt, sondern mit einem Weilheimer Knöpfedreher

„Ich gehe heute Abend zu Blurt.“ – „Ach, Blur, die finde ich auch klasse.“ – „Nein, nicht zu Blur, zu Blurt, kapierst du, Blurt.“ – „Ja klar, Blur, diese supergeilen Gitarrenrocker.“ – „Grrrrphhh.“ Scheinbar haben auch Heroen Verfallsdaten wie Yoghurtbecher – und plötzlich fühlt man sich müde und alt wie eine gichtbefallene Schildkröte.

Aber schließlich ist auch Ted Milton alt geworden. In Würde. Dass sich bei ihm das Verhältnis von Hüft- und Schulterbreite mit unaufhaltsamer Stringenz von den anzustrebenden Standardwerten entfernt, hält ihn nicht ab, rote Hosenträger zum Kurzhaar-Irokesen zu tragen. Und die Kultivierung der eigenen Skurrilität bereitet ihm nach wie vor Freude, auch wenn er seine derwischhaften Zappeleien auf ein Mini-Minimum heruntergefahren hat. Nach wie vor vergisst er gelegentlich, dass er als Konzertact angekündigt ist und verirrt sich in grotesk-schelmischen Anekdötchen. Der Mann brauchte nicht erst eine social-beat-Bewegung im Rücken, um die Lust am Fabulieren den Klauen des ernsten Literaturbetriebs zu entreißen.

„Blurt“, das war im Wesentlichen Ted Miltons weitschweifiges Saxophon, das frei und flatterhaft wie ein Adler über einer Schlagzeug-Gitarren-Sättigungsbeilage schwebte, die gemeinhin als stoisch, konsequent oder eintönig bezeichnet wurde. Irgendwie war es deshalb nur ein Gebot der Logik, dass sich Ted Milton mit der Königin der Soundschleife, der Elektromusik, zusammentat. Bei seiner 20-jährigen Übung in Sachen Randständigkeit darf man sich nicht wundern, dass er nicht im coolen Köln fündig wurde, sondern in tiefster oberbayerischer Prärie, in Weilheim. Dort betreibt ein Projekt namens „Tied & Tickled Trio“ schon seit mehreren Jahren Energieerzeugung durch Kernfusion von Electronica, Jazz und mehr – zwei harte Jungs von Notwist sind auch dabei. Deren Knöpfedreher Andreas Gerth hat Milton abgegriffen.

Auf der Breminale zeigte schon mal ein Berliner Trompeter, wie toll Maschine und Blasinstrument, pathetisch gesprochen: Mathematik und Atem, zusammenpassen. Eigentlich ist es also das Hipste vom Hipen, wenn es Greth spacig und valiumabgedreht zu Miltons Gesang und Blaserei blubbern lässt. Trotzdem tröpfelten nur etwa 20 Menschen in den Magazinkeller. Die breiten Mass hing draußen beim Freimarkt in irgendwelchen Kabinen, um sich schleudern zu lassen, als erträumte sie sich ein Sockendasein in der Waschmaschine. Vielleicht war es diese ungerechte Verteilung der Publikumsgunst, die Milton an diesem Abend so versonnen und in sich gekehrt seine Tongirlanden spinnen ließ.

Als Vorband angeheuert war das blutjunge Trio Quixotic. Ihr klassischer Gitarrenrock verbindet tiefe Müdigkeit mit Härte. Keiner der drei ist stimmlich oder instrumental ein Spitzentalent, aber alle haben sie einen umwerfenden Charme, die Schlagzeugerin mit ihrem intelligent variierenden Rhythmus auf low-energy-level, die Sängerin mit ihrer wunderbar gelassenen Stimme und ihrer Versessenheit auf die tiefen Gitarrensaiten, der Bassist, mit seinen Gestaltwandlungen zwischen Statue und Berserker. Niemals wird diese Band mit ihrer Musik Geld verdienen können. Nicht mal ihren Namen muss man sich merken, weil man ihr wahrscheinlich weder in diesem noch in einem anderen Leben wieder begegnen wird. Und doch ist sie einzigartig und vollkommen. Und es sind vor allem diese namenlosen, charmanten, eigenwilligen Vorbands, die Magazinkellerkonzerte so unersetzlich machen. bk