Sommer im Schnee

Wie verwirrend ist das Leben ausgewanderter Europäer an der Peripherie? Cornelia Schmidt-Bleek zeigt Alltagsfotografien aus Neuseeland bei S.S.K.

von HARALD FRICKE

Nach 30 Stunden ist man da. Leute stürmen auf die Rollbahn und begrüßen die Neuankömmlinge direkt am Flugzeug. So freundlich ist die Bevölkerung in Neuseeland. Aber eben auch sehr weit weg. So weit, dass man doch erstaunt ist, wenn das Leben heute dort nicht mehr aussieht wie in den Reisetagebüchern von Thomas Cook. Sondern ganz ähnlich wie in Großbritannien. Aber dafür muss man eben erst einmal die Reise machen. Ein guter Grund.

Cornelia Schmidt-Bleek war in Neuseeland. Das erkennt man jedoch nur an winzigen Details auf den Fotos, die sie gruppenweise in der Galerie S.S.K. angeordnet hat. Da ist zum Beispiel das Bild von Kindern, die im Schnee toben. Ein Weihnachtsmann wacht über das Geschehen, doch irgendetwas stimmt nicht an der Szene: Auf einem Schild steht „Saturday 26th June“, einige der Kinder tragen T-Shirts. Denn der neuseeländische Winter ist nur Fake, der Schnee wurde von einigen Bergspitzen herunter in die kleine Stadt Thames transportiert, die nahe am Ozean auf der Nordinsel liegt. Und die Kinder? Sie bauen keine Schneemänner, sondern formen Figuren auf dem Boden – ganz so, wie man es sonst auch am Strand machen würde.

Tatsächlich wird in diesem Foto das paradoxe Verhältnis zwischen dem Alltag Down-under und im europäischen Homeland besonders sichtbar. Die Rituale sind gleich geblieben, aber die Natur ist vollkommen anders. Und doch eben auch wieder ähnlich, so wie das Grün der Weiden, die Schafe, der karge Baustil der Häuser genauso gut an irgendein Örtchen in Wales erinnern. Aus diesem Widerspruch zieht Schmidt-Bleek die erzählerischen Mittel für „Four Women“: Stets findet sich auf den beiläufigen Fotostrecken ein Moment, wo sich Ähnlichkeiten und Differenzen für den Betrachter überlappen. Ganz offensichtlich haben die europäischen Auswanderer versucht, sich in der Fremde wie zu Hause einzurichten. Gelungen ist es ihnen aber nur in der Verschiebung, in der Angleichung an die Verhältnisse.

Schmidt-Bleek zeigt genau diese Art der Integration. Damit die Umkehrung der Fragen nach Identität nicht Gefahr läuft, auch nur ein Konstrukt aus dem Westen zu sein, hat sie keine der Aufnahmen selbst gemacht, sondern das Material vor Ort aus dem Fotoarchiv einer Lokalzeitung ausgewählt. Die Bilder lagen in einem Second-Hand-Laden zum Verkauf aus. Erst durch das präzise Arrangement in der Galerie wird aus dem Fundus eine Geschichte, erhalten die unspektakulären Bilder vom Rugby-Nachmittag oder von den vier Kleingärtnerinnen, die der Ausstellung den Namen gegeben haben, einen Kontext, der auf die globale Fallhöhe zwischen westlicher Projektion und pazifischer Normalität zurückführt. Schmidt-Bleek geht es um eine Erzählung, die die Kolonialgeschichte im Hinterkopf hat und trotzdem im Alltag angesiedelt ist. Das hohe Wiedererkennungspotenzial macht die Sache nicht einfacher. Das Fremde an der Fremde ist auch meine Fremde.

Four Women, bis 11. 11., Mi–Fr 14–19, Sa 12–17 Uhr, S.S.K., Linienstr. 158