Klein und gut

Texte, nicht Images: Die Verlagsbuchhandlung „Juliettes Literatursalon“ ist unbeirrt eigensinnig

von JAN BRANDT

Es ist Dienstagabend, kurz vor acht Uhr. In Juliettes Literatursalon findet keine Lesung statt. Obwohl Die Welt für heute eine Veranstaltung angekündigt hat. Hartmut Fischer, der Inhaber des Buchladens in der Gormannstraße 25, sitzt an einem Tisch und trinkt ein Glas Wein. „Da werden bestimmt noch welche kommen“, sagt er und schaut zur Tür.

Seit über einem Jahr organisieren Fischer und sein Kollege Hendrik Rohlf in Berlin-Mitte eine Dauerlesung aus Marquis de Sades „Justine und Juliette“. Alle vierzehn Tage übernehmen Schauspieler, Musiker oder Professoren eine Passage aus der auf zehn Bände angelegten Übersetzung. Blixa Bargeld hat hier schon gelesen, Durs Grünbein und Katharina Thalbach auch. Nur heute liest niemand.

Fischer trägt einen schwarzen Anzug, ein schwarzes T-Shirt und schwarze Schuhe. Sein Vollbart ist gestutzt und das Haar wuschelig. Vor einigen Jahren, als der erste Band der De-Sade-Edition bei Matthes & Seitz erschien, machte er gerade eine Buchhändlerlehre in Tübingen, und er beschloss, einen literarischen Salon zu eröffnen, der „Juliette“ heißen sollte. Das Konzept ließ sich in der Kleinstadt nicht realisieren, und so zog er nach Berlin. In der Hauptstadt wurde Fischer zunächst mit ganz anderen Problemen konfrontiert. „Buchhandlungen und Kneipen stehen bei den Banken auf der roten Liste“, sagt er. Ein Kredit blieb ihm vorerst verwehrt, er schrieb sich an der Uni ein und schlug sich mit Nebenjobs durch. Dann, 1997, klappte es doch noch. Neben ihm, auf einem Stuhl, liegt der vierte Band von Harry Potter.

Hendrik Rohlf ist „fast 29“ Jahre alt, hat auch wuscheliges Haar, aber keinen Bart. Er trägt eine Brille und eine zerknitterte Jacke, und wie Fischer kommt er aus Tübingen. Die beiden haben sich über Rohlfs Bruder kennen gelernt, der die Regale für die Buchhandlung angefertigt hat. Für Hendrik Rohlf ist Harry Potter der „härteste Schlag gegen die Elektroindustrie“. Das Buch ist gerettet – an eine Potter-Lesung in ihrer Buchhandlung ist dagegen nicht zu denken. „Wir arbeiten sehr viel mit Kleinverlagen zusammen“, sagt Hartmut Fischer. Bücher mit Titeln wie „Medienphilosophie“ und „Referenzgemetzel“ , Klassiker von William Blake bis Herman Melville und natürlich auch die popkulturellen Repräsentanten der deutschen Literatur sind vertreten. Aber von Benjamin von Stuckrad-Barres neuem Buch haben sie noch kein einziges verkauft. „Zu Recht“, findet Fischer. „Wir verkaufen Texte, keine Images.“

Und manchmal verkaufen sie auch Publikationen des eigenen Verlags. 1998 wurden in der Buchhandlung Badezimmerfotos ausgestellt, die Blixa Bargeld während seiner Welttourneen in den Hotelzimmern gemacht hatte. Aus dem Ausstellungskatalog wurde ein kleines, mehrsprachiges Buch: „serialbathroomdummyrun“. Ein paar von den Bildern hängen noch auf dem Klo in Juliettes Literatursalon, aber Hartmut Fischer muss erst eine neue Birne eindrehen, damit man sie sehen kann.

In diesem Herbst erscheint nun das zweite Buch, „Postskriptum“, Texte des Regisseurs Ivan Stanev. Zwanzig poetische Briefe korrespondieren mit Fotos, die Stanevs Vater vom vereisten Schwarzen Meer gemacht hat. Fischer und Rohlf wollen sich aber nicht auf das Medium Buch festlegen – das nächste Projekt könnte eine CD sein oder ein Film. Dann soll der Nebenraum, in dem ab und zu Ausstellungen und Performances stattfinden, zu einer „Audio-Video-Lounge“ umgebaut werden, für „kleine Sachen, Experimente“. Sie wollen die Tradition der Verlagsbuchhandlung fortführen und gleichzeitig neue Wege gehen. Die Werke Marquis de Sades geben das breite Spektrum wieder, das der Literatursalon präsentiert. Obwohl der Name „Juliette“ auch zu Verwirrungen führt, weil er von vielen mit Erotik in Verbindung gebracht wird. Ein Glaser zum Beispiel hat seine Rechnung an „Josefines Literatursalon“ geschickt, in Anlehnung an die Wiener Prostituierte Josefine Mutzenbacher.

Der Mann, der kurz nach acht in den Laden kommt, hat sich nicht verirrt. Trotzdem bleibt er zögernd in der Tür stehen und sagt: „Ich wollt mal fragen, ob bei euch ’ne Lesung ist heute.“ Als Fischer und Rohlf den Kopf schütteln, verspricht er, wiederzukommen.