in fußballland
: CHRISTOPH BIERMANN über Eigenrauchs Weisheit

Sprüche raustun

Yves Eigenrauch, den Leser dieser Zeitung nicht nur als Profi des FC Schalke 04, sondern auch als Rolf-Dieter Brinkmann der Bundesliga kennen, verdanke ich eine so wichtige wie bedenkliche Einsicht. Wenn man ihn nämlich nach einem Bundesligaspiel, in dem er gerade mitgekickt hat, fragt, wie denn dieses gewesen sei, sagte er stets den schönen Satz: „Ich habe keine Ahnung von Fußball!“

Das ist weder kokett, noch hat es mit einer Selbststilisierung als Exot seiner Branche zu tun – wenn man sich auch vorstellen kann, dass seine Mannschaftskameraden über den Lounge-Style ihres Kollegen manchmal sehr verwundert sind. Yves Eigenrauch legt einfach überzeugend dar, dass er auf dem Feld konzentriert seinen Arbeitsbereich beackert und somit nur einen Ausschnitt des Ganzen mitbekommen hätte, über das er insgesamt keine Auskunft geben könne, also: „Frag mich nicht!“

Irgendwann, es muss inzwischen zweieinhalb Jahrzehnte her sein, hatte die aktuellste Parole in der Sportberichterstattung geheißen: Runter von den Tribünen. Die damalige New School der Reporter begann, sich mit denen zu unterhalten, über die sie berichteten, und es in ihren Artikeln auch zu benutzen. Seitdem ist die Zahl derer, die das tun, noch einmal sprunghaft gewachsen, sodass sich heute nach großen Fußballspielen Szenen abspielen, wie sie der Beobachter von Wahlkampfabenden kennt. Kameraleute rammen sich gegenseitig die Ellbogen ins Jochbein, und lange Arme strecken kleine Diktiergerät in Richtung der Helden des Tages, um wertvolle Zitate zu erhaschen.

Leider sind in Wirklichkeit die meisten dieser Äußerungen komplett uninteressant, denn, da hat Yves Eigenrauch völlig Recht, die Spieler haben halt keine Ahnung von Fußball. Voraussehbar ist ihr Gerede zudem. Mit großer Andacht habe ich neulich einem Kollegen gelauscht, der Andy Möllers Diktion und Tonfall perfekt imitieren konnte. Der wahre Möller fiel anschließend dagegen ab.

Eine schöne Entwicklung im Medienzeitalter ist auch die beliebt gewordene Antwort: „Das muss ich mir erst mal im Fernsehen angucken.“ Diese geben inzwischen nicht nur der Vielfliegerei verdächtige Elfmeterschinder, sondern auch schusselige Verteidiger bei Klärung der Schuldfrage angesichts von Gegentoren. Und wenn man einwendet, dass sie doch direkt an der Szene beteiligt gewesen seien, zuckt einer wie Freiburgs Daniel Schumann mit den Schultern: „Es ging alles so schnell.“

Im besseren Fall verfügen die Kicker über Erfahrung, was ein feiner Unterschied ist, den ich ebenfalls Yves Eigenrauch, dem so feinen Denker wie rauen Kicker im königsblauen Trikot, verdanke. Die folglich trüben Ergebnisse der Befragungen führen nun dazu, dass man gar nicht mehr so genau hinhört, was da eigentlich so gesagt wird, weshalb ich einige Monate gebraucht habe, bis mir klar wurde, dass Jens Nowotny, der doch ein toller Verteidiger ist, Mannschaftskapitän in Leverkusen und stets so grundsolide und klar wirkt, oft ziemlich verworrenes Zeug erzählt, das bei genauerer Betrachtung auch noch arg widersprüchlich ist.

Weil das alles so ist, wie es ist, und die Welten des unfreiwilligen Humors auch längst kartografiert sind, lieben Journalisten inzwischen jene Spieler, die bewusst lustige Sachen erzählen. Der Terminus Technicus dafür ist: mal einen Spruch raustun. Ziemlich beliebt in Schalke ist gerade Neuzugang Jörg Böhme, der zu echten Kalauern neigt. Auf die Frage, wie man am besten sein Geld anlegen sollte, sagte er: „In Alkohol – da gibt es die meisten Prozente.“ Har, har! Ein Dauerbrenner feinsinnigeren Humors ist Richard Golz, der Torhüter des SC Freiburg, dem fast nach jedem Spiel ein hübsch ziseliertes Bonmot gelingt. Wieder einmal nach dem studentischen Element im Team befragt, antwortete er: „Vor lauter Schopenhauer lesen kommen wir gar nicht mehr zum Trainieren.“

Bedeutet das alles nun im Umkehrschluss, dass Reporter wie einst oben auf der Tribüne bleiben und den Spielern erklären sollten, wie ihr Kick gewesen ist? Nun gut, sag ich mal: Ich hätte nichts dagegen.

Fotohinweis:Christoph Biermann, 39, liebt Fußball und schreibt darüber