Österreichisch kuscheln im Kutscherhof

In der alpenländischen Big-Brother-Version müssen die Kandidaten mit orange Taxis fahren, um Geld zu verdienen

Zusammenfassung Tag 39: „Wer wird gewinnen? Hansi versorgt (Kater) Orange – Silke ist sehr deprimiert – Chris soll nicht singen – Einkauf bringt auch Ärger. Silke ist ziemlich eifersüchtig auf Hansi, als sich Andrea beim Kartenspielen ein bisschen rankuschelt. Oder ist es nur gespielt?

So spannend geht es im Kutscherhof zu, wo acht junge Menschen seit Mitte September eingesperrt sind. Ursprünglich waren es zwölf, jede Woche fliegt einer raus. Jede Ähnlichkeit mit Big Brother ist purer Zufall. Schließlich bewohnen die jungen Menschen ein adaptiertes Biedermeiergebäude in Wien-Hietzing. Und sie sind nicht so hoffnungslos eingesperrt wie ihre Leidensgenossen in Köln. Sie haben nämlich ein Taxiunternehmen, bestehend aus vier orangefarbenen Taxis, und müssen damit Geld verdienen. Ohne Arbeit kein Abendessen. Selbst für die Dusche muss bezahlt werden. Kameras sind natürlich auch im Taxi montiert. Die Passagiere sind Leute, die gern ins Fernsehen kommen wollen. Wer sonst würde sich für umgerechnet 20 Mark vom Stephansplatz zur Börse befördern lassen? Da ist man zu Fuß schneller. Walter, einer der eingesperrten jungen Menschen, kann Englisch und vertreibt sich die Langeweile manchmal mit Sprachstunden. Robert beklagt sich immer über die Männer, die ihn als „schwule Sau“ fertig machen. Andrea hat dunkelrosa Haare. Hansjörg ist aus Tirol und hat offenbar von Zlatko gelernt: Vom Biedermeier-Dramatiker Ferdinand Raimund hat er nie gehört. Andreas machte sich lustig über diese Bildungslücke. Prompt warf Hansi den Andreas bei der nächsten Gelegenheit raus. Rausgeworfen wird nicht nach Abstimmung, sondern in einsamer souveräner Entscheidung. Das Publikum wählt den Sieger der Woche. Der darf dann Terminator spielen. Wer zum Schluß übrig bleibt, bekommt eine Million (Schilling).

Wir werden bis Ende November Zeugen endloser Diskussionen und dürfen zuschauen, wie vor dem Spiegel Pickel ausgedrückt und im Hof Wäschestücke aufgehängt werden. Silke (oder ist es Linda?): „Jetzt muß ich meinen BH waschen. Jetzt muß ich aber wirklich meinen BH waschen. Ich gehe jetzt meinen BH waschen.“ So viel gestritten wie im Endemol-Container wird nicht. Meine 14-jährige Nichte Simone findet das gut: „Das sind normale Leute, mit denen man sich identifizieren kann. Bei Big Brother, das sind komische Typen, so streitsüchtig.“ Auch die meisten ihrer Klassenkolleginnen sitzen allabendlich vor der Röhre, wo der Stoff für die Pausenunterhaltung geliefert wird.

Taxi Orange ist ein Quotenhit. Zumindest bei der Zielgruppe der 12- bis 25-Jährigen. In einer Umfrage des Montagsmagazins Format meinen immerhin 51 Prozent der Befragten, dass der öffentlich-rechtliche Auftrag der Fernsehanstalt bei dieser Programmgestaltung gewahrt bleibe. Unter den Opinion-leaders äußerten allerdings 69 Prozent Bedenken. Wenn durch Werbeblocks und Product-Placement Geld reinfließt, wie sind dann die Fernsehgebühren zu rechtfertigen? Wer die tägliche Zusammenfassung im Hauptabendprogramm einmal versäumt und auch nicht bis zur Wiederholung um 2:30 aufbleiben will, kann im Internet nachlesen, was er versäumt hat. Dort landet man dann auch gleich im Chatroom und kann seine Kommentare absondern, so wie angie85 am 26.10 um 13:29: „Also der Chris ist wirklich sooo behindert!!!!!! Kann nicht mal gescheit reden und führt sich auf wie ein Baby!!!! Ich versteh die alle voll im KH, dass die den Chris nicht mögen. Der gehört raus!!!!!!!“ Das findet auch meine Nichte Simone, die das 21-jährige Profi-model für Unterwäsche nicht ausstehen kann. Rausgeflogen ist allerdings letzten Samstag Hansjörg. Eliminiert von Chris.

RALF LEONHARD