■ Urdrüs wahre Kolumne
: Glück und Leid

Alle BahnfahrerInnen seien freundlichst daran erinnert, dass ab sofort die Expo-halber ausgesetzten Kleingruppen-Tickets („Schönes Wochenende“/Niedersachsen-Ticket) wieder gültig sind. Grund genug, öfter mal als Reisekader für Ökologie, Antifa und andere hehre Aufgaben unterwegs zu sein. Und die Rollheimer und Schlichtsiedler aus ganz Norddeutschland sollten schon mal die passenden Zugverbindungen nach Bremen heraussuchen, damit den altbösen Feinden BAUORDNUNGSAMT und BULLIZEI massiver Widerstand entgegengesetzt werden kann, wenn diese Baalspriester sich anschicken, die Leute im Waller Parzellengebiet am Fleet von Scholle und Herd zu vertreiben. Merke: Kein Mensch ist illegal! Und ab Hauptbahnhof nehmen wir bitte Bus 26 ...

Apropos kleine Fluchten auf dem Schienenweg: In meiner Heimatstadt Rinteln wurde in den letzten Tagen die heute beginnende Kirmes aufgebaut, und während ich mir bei diesen Arbeiten die künstlerisch gestaltete Hochglanzfassade eines schon recht nostalgischen Fahrgeschäfts anschaue, flitzt aus der kleinen Kartenverkaufs-Koje der Inhaber hervor und weist mich ausgesprochen dringlich auf das Schild „Junger Mann zum Mitreisen gesucht“ hin. „Falls Sie mal was hören von einem, der einen Job sucht: Der kann sofort anfangen, auch im Winter. Wir sind personell zurzeit völlig am Arsch!“ Vielleicht gibt mal jemand diesen Hinweis an die vielen hungernden Bremerhavener in seinem Bekanntenkreis weiter. Vermutlich setzt es für die erfolgreiche Vermittlung jede Menge Fahrchips als Belohnung.

Ist mir da etwas entgangen oder haben sämtliche Bremer Medien ihre Chronistenpflicht vernachlässigt? Der Ausländeramtsleiter Trappmann firmiert ausweislich der Lokal-taz vom Montag jetzt als Erika Pape-Post. Scheint aber sonst in gleichen Stiebeln zu stecken, wie die Abschiebung von Asylbewerbern mit deutschen Papieren aus eigener Fabrikation als „zurzeit gängige Praxis“ belegt. Und 15-jährige Teenies zwecks Abschiebung ins Ungewisse mutterseelenallein in leere Gefängnistrakte zu stecken: Wie Innensensator Bernt Schulte dies mit sich und seinem lieben Herrgott klar kriegen will, wird man ja wohl noch fragen dürfen. Pfui Deibel, das!

Nun gut. Dass Hartmut Perschau nicht für die amtliche Anerkennung schwuler und lesbischer Partnerschaften ist, kann man vielleicht damit erklären, dass so stattliche und zudem finanziell ganz attraktive Partien wie er nach Verabschiedung entsprechender Gesetze rund ums Jahr keine Schonzeit seitens der begehrlichen Freier hätten. Und Henning Scherff handelt ja bei seinen öffentlichen Zärtlichkeitsoffensiven ohnehin nach dem Motto: „Warum sich für einen Menschen reservieren, wenn man mit allen was haben kann?“ Die weniger attraktiven in der Regierung aber, die immer noch solo durchs Leben gehen oder deren PartnerIn sowieso am Abspringen ist: Warum sollten nicht wenigstens die versuchen, sich einen netten Freund fürs Alter zu suchen, mit dem sie der Einsamkeit trotzen, der ihnen bei Bedarf den Rücken kratzt oder die Fußnägel schneidet und dem sie ihre Pension vererben können? Sind doch alle nicht mehr die Jüngsten ...

Das Elend kennt viele Formen: Vor einem Spielzeuggeschäft entdecke ich einen vielleicht siebenjährigen Knaben, wie er frisch gekaufte Pokemon-Karten aus ihren Umschlägen zerrt und betrachtet. Während ich noch über die beträchtlichen Kosten dieser Investition nachdenke und leises Mitleid mit den gebeutelten Elterntieren dieses Landes aufkommt, fängt der Lütte plötzlich an, völlig hemmungslos zu weinen. Nach den Gründen dafür befragt, gibt er unter Tränen und Schluchzen eine Antwort, die wirklich alles sagt: „Ich habe diesmal eine ganz tolle Karte dabei, die ist ganz ganz selten. Die wird mir bestimmt geklaut ...“ Galt früher „Wer seine Lage erkannt hat, wie sollte der aufzuhalten sein“, hat man sich heute offenbar so im Wissen um den Triumph der Ungerechtigkeit eingerichtet, dass selbst in Augenblicken des vollkommenen Glücks das Leid ganz nahe ist. Was macht Dir das? Fragt sich und Dich

Ulrich
„Gotta Blues“ Reineking