Es gilt: Gesicht zeigen!

Thorsten Heise muss sich sehen lassen. taz dokumentiert die Urteilsbegründung des Oberlandesgerichts Braunschweig

In der Ausgabe (der tageszeitung) vom 19./20. August 2000 sind auf der Titelseite Fotographien von 22 namentlich und mit ihrer politischen Tätigkeit bezeichneten Rechtsextremisten unter der Überschrift „Gesicht zeigen“ abgedruckt. Darunter befindet sich auch der Heise. Der ihn betreffende Text lautet: „Thorsten Heise, Northeim. Aktivist des ‚blood & honour‘-Netzwerks. Kameradschaftsführer und im CD-Handel aktiv“. Die Titelseite ist nach Art eines Steckbriefes aufgemacht. Daneben ist unter einem Logo, das ein großes Z zeigt, folgender Text abgedruckt:

„... Und für die Bereitschaft und den Mut zur Auseinandersetzung – nicht nur mit den Auswüchsen, sondern mit den Ursachen jeder Art von Gewalt gegen und Diskrimierung von Minderheiten. Aus diesem Grund zeigt die taz nicht bekannte Gesichter, die ‚dagegen‘ sind. Sondern die Gesichter, die man kennen muss, um reagieren zu können. Z will nicht, dass Sie auch einen Baseballschläger in die Hand nehmen. Z ist eine Grundlage für eine Vernetzung. Was immer aus momentanen, konjunkturell bedingten Aktionismus der Politiker folgt: Auch gute Maßnahmen greifen nur, wenn sie mit der Wahrnehmung der zivilen Eigenverantwortung verknüpft sind ... Z will sagen: WIR sind die absolute Mehrheit. Und WIR sind da, Z muss wachsen, Z braucht Sie ...“

Hiergegen hat sich der Antragsteller (...) gewandt. (...)

Die Bezeichnung des Heise als Akteur der rechtsradikalen Szene, die steckbriefartige Aufmachung der Titelseite der „taz“ und der Umstand, dass auch der Heise textlich mit den Ursachen von Gewalt in Verbindung gebracht wird, sind geeignet, sein Ansehen bei der Leserschaft herabzuwürdigen. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass die Aufmachung und Gestaltung der Titelseite für gewaltbereite Leser des linken politischen Lagers Anlass sein kann, die abgebildeten Personen direkt und möglicherweise auch körperlich anzugehen. Allerdings kann dem Heise nicht darin gefolgt werden, dass der Artikel hierzu unmittelbar aufruft. (...) Im Gegenteil: Die Aktion Z soll und will ausdrücklich zur Zivilcourage motivieren, also zur bürgerlichen Auseinandersetzung mit politischen Extremisten. (...)

Der Heise stellt sich mit seinem politischen Wirken fortdauernd selbst in das Licht der Öffentlichkeit und muss daher auch hinnehmen, dass man sich mit seiner Person wiederholt öffentlich auseinandersetzt. (...) So ist über den Heise auch in den letzten Jahren mehrfach in überregionalen Zeitungen im Zusammenhang mit seinen Aktivitäten betreffend den Vertrieb volksverhetzender Musik berichtet worden, teilweise auch unter Abdruck von Fotographien des Heise. Er wird im Verfassungsschutzbericht Niedersachsen 1999 mehrfach erwähnt, wobei ihm eine Scharnierfunktion bei den Kontakten zwischen Skinheads und Neonazis zugewiesen wird. Er führt die sog. Kameradschaft Northeim und ist in dieser Funktion mehrfach bei Aufmärschen hervorgetreten. Gleiches gilt für die Teilnahme an einer rechtsextremistischen Aktion in Budapest im Februar des vergangenen Jahres, die der Huldigung der Waffen-SS diente.

Wer sich in dieser Weise öffentlich am politischen Meinungskampf beteiligt, muss grundsätzlich auch scharfe, nicht im einzelnen begründete, auch abwertende Vorwürfe hinnehmen. Hierbei besteht auch ein Interesse an der öffentlichen Auseinandersetzung mit seiner Person, das die taz aufgegriffen hat. Denn Personalisierung bildet ein wichtiges publizistisches Mittel zur Erregung von Aufmerksamkeit. Sie weckt vielfach erst das Interesse an Problemen und begründet den Wunsch nach Sachinformationen. Auch Anteilnahme an Ereignissen und Zuständen wird meist durch Personalisierung vermittelt. Die Auseinandersetzung mit Leitfiguren erfüllt solchermaßen auch eine Kontrastfunktion. (...)

Gerade in den vergangenen Monaten ist das Interesse der Öffentlichkeit an Information über und Auseinandersetzung mit Straftaten aus dem rechtsextremen Bereich, möglichen Hintermännern, Ideologen und geistigen Hintergründen erheblich gestiegen. Denn aus dieser Szene heraus sind vielfach schwere Gewaltverbrechen verübt worden, nicht zuletzt vor dem Hintergrund, Minderheiten nicht nur ausgrenzen, sondern auch physisch beschädigen oder vernichten zu wollen. Dieses Informationsinteresse zu befriedigen, ist der angegriffene Artikel im wesentlichen bemüht. Gleichzeitig geht damit der Aufruf zu mehr Zivilcourage und Schulterschluss in der Bevölkerung einher, um jenen radikalen Bestrebungen eine einheitliche Abwehrfront gegenüber zu stellen. Dies ist mit Blick auf die der Presse- und Meinungsfreiheit nicht zu beanstanden. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass sich die textliche Auseinandersetzung mit den abgebildeten Personen und ihren Bestrebungen auf der Titelseite der taz in Grenzen hält. Denn für welche Geisteshaltung die dort abgebildeten Personen stehen, ist hinreichend dargelegt (...). Was schließlich die steckbriefartige Aufmachung und die damit verbundene Anprangerungswirkung angeht, muss eine weitere Besonderheit politisch radikaler Lager, insbesondere auch der rechten Szene berücksichtigt werden: Parteien und Gruppierungen, die politische Willensbildung, und Entscheidungen auf dem vom Grundgesetz vorgegebenen parlamentarischen Weg verfolgen und weniger durch Aktion denn durch Diskurs agieren, treten in der Öffentlichkeit vornehmlich durch ihre Repräsentanten in Erscheinung. Demgegenüber wirkt die rechtsradikale Szene in erster Linie durch Taten ihrer Basis, während führende Persönlichkeiten derselben weniger im Lichte der Öffentlichkeit stehen und mehr im Hintergrund bleiben. (...) Dies ist im Grundsatz ebensowenig zu beanstanden wie die Veröffentlichung der Fotographie des Heise und des ihn betreffenden Textes. Denn wie bereits oben ausgeführt, hat die taz hinreichende Tatsachen dafür dargelegt und glaubhaft gemacht, dass sich der Heise noch immer als führender Kopf in der rechtsradikalen Szene betätigt (...). Erschwerend kommt hinzu, dass der Heise Tonaufnahmen rechtsradikaler Musikgruppen vertreibt, die in widerwärtiger Weise Minderheiten gegenüber offen zur Gewalt aufrufen, wie dies durch den Text des Machwerkes „Blut muss fließen“ unterlegt ist. Wer in dieser Weise dazu beiträgt, gleichsam nahtlos an die schlimmsten Kapitel nationalsozialistischer Gewaltherrschaft anzuknüpfen, wird hinzunehmen haben, dass er sich auch öffentlich steckbriefartig in eine Art Verbrecheralbum einstellen lassen muss, so wie es die taz getan hat. (...)

Alles in allem muss die auf ihn bezogene Anprangerungswirkung deshalb im Licht der Meinungs- und Pressefreiheit völlig anders bewertet werden als die vom OLG Jena in seiner Entscheidung vom 16. August 2000 – 3 W 486/00 – beanstandete Anprangerung eines Gewerkschafters, dessen Bild Rechtsradikale ins Internet gestellt hatten, um ihn (...) als politischen Gegner zu individualisieren und – verdeckt – der Verfolgung durch seine politischen Gegner preiszugeben.

Aktenzeichen: Beschluss des OLG Braunschweig 2 W 241 + 242/00 vom 18. Oktober 2000

Der ungekürzte Urteilstext ist im Internet unter www.taz.de abrufbar.