Im christlichen Porzellanladen

■ Dekadent und sozial engagiert: Umfangreiche Retrospektive zum 25. Todestag von Pier Paolo Pasolini im Abaton

Leidenschaft und Ideologie, Dekadenz und soziales Engagement, Marxismus und Mythologie: Begriffspaare mit Bedeutungslasten, die Pasolini mal leichthändig, mal schwerfällig in die Arena seiner Texte und Filme wirft. Begriffspaare, die auch Pasolinis Leben umschreiben. Und dabei kommt die Addition, das widersprüchliche „und“ zwischen den Paaren, dem unentwegten Herausforderer der katholischen Kirche weit näher als jegliche Reduktion.

Vor 25 Jahren starb Pier Paolo Pasolini durch die Hand eines 17-Jährigen, der behauptete, Pasolini habe ihm sexuelle Avancen gemacht. Der Todestag ist jetzt Anlass für das Abaton – unser Art-house-Kino mit dem gewissen spirituell-religiösen Anspruch –, den Regisseur mit einer umfangreichen Retrospektive zu ehren. Und der Zusammenarbeit mit der Katholischen Akademie sind die sachkundigen Einführungen in die Filme zu verdanken.

Die Akademie veranstaltet auch eine literarische Soirée mit Texten Pasolinis sowie Vorträgen des Theologieprofessor Reinhold Zwick aus Freiburg und des Freundes und Wegbegleiters Pasolinis, Giuseppe Zigaina aus Italien.

Dass sich heute in erster Linie religiös inspirierte Kreise um Pier Paolo Pasolini kümmern, entbehrt nicht einer gewissen Ironie, macht aber Sinn. Denn lieber noch lässt man Angriffe über sich ergehen, als sich mit völliger Gleichgültigkeit konfrontiert zu sehen. Und Pasolini polterte seinerzeit gern und oft im christlichen Porzellanladen, so zum Beispiel in La ricotta (1962) mit Orson Welles. Für Der Weichkäse (so der deutsche Titel), ein Film im Film, der die Dreharbeiten eines kitschigen Kreuzigungsfilms verhandelt, wurde der Regisseur sogar wegen Diffamierung der Religion zu ganzen vier Monaten Gefängnis auf Bewährung verknackt.

Derlei Repression blieb Pasolini bei Teorema erspart. Der Lehrsatz ist ein meisterhafter filmischer Versuchsaufbau über das Begehren. Der junge und richtig attraktive Terence Stamp (jüngst in The Limey zu sehen) kommt in eine bürgerliche Familie, deren Mitglieder allesamt Beziehungen zu ihm eingehen. Kaum da, ist er bereits wieder weg, und für alle ist danach nichts mehr, wie es einst war.

Darüber hinaus sind an diesem Wochenende noch Medea, Pasolinis Bearbeitung des antiken Stoffes mit Maria Callas in faszinierender kappadokischer Landschaft und Große Vögel, kleine Vögel zu sehen. Letzterer Film mit dem Komiker Totò fabuliert über Marxismus und Religion: ein kurzweiliger Abschied von den Ideologien, nach denen alles fortschreitet oder zumindest besser würde.

Die breite Diskussion um Pasolini, die zurzeit in Italien zu beobachten ist, findet hierzulande allerdings kaum Nachhall. Abgesehen vom Style in jenen Filmen, der in der ausgefächerten Modeszenerie das eine oder andere Echo findet, scheinen die radikalen, aber bisweilen auch schwergängigen Analysen jener Filmemachergeneration zurzeit überhaupt nicht en vogue. Die Dekadenz nehmen wir noch mit, das soziale Engagement aber bleibt links liegen.

Tim Gallwitz

Heute: Medea, 17 Uhr, Große Vögel, kleine Vögel, 22.45 Uhr jeweils im Abaton.

Literarische Soirée u.a. mit Prof. Reinhold Zwick und Giuseppe Zigaina in der Katholischen Akademie, Herrengraben 4, 20 Uhr

Morgen: La Ricotta und Teorema, 11 Uhr im Abaton