Zusammenstoß mit einem Doppeldecker

Unberechenbar kreativ: Underground-Legende Wild Billy Childish im Molotow  ■ Von Conny Lösch

„Auf einem Bein kann man nicht stehen.“ Das sagen Säufer, die sich meist mehr als nur zwei Schnäpse genehmigen. „Auf einem Bein kann man nicht stehen“, sagt aber auch Wild Billy Childish, und der hat mit dem Saufen schon vor vielen Jahren aufgehört. Er meint künstlerischen Ausdruck, und damit steht er auf tausend Füßen. Childish, Underground-Legende seit mehr als 20 Jahren, ist Maler, Poet und Musiker, und mit einer wilden, unberechenbaren Kreativität ausgestattet, die so schnell vor nichts halt macht. Nichts tun kann er nicht. Professionalität interessiert ihn nicht. Wenn er Lust hat, etwas zu machen, dann wird nicht lange gefackelt.

Was dabei herauskommt, ist meist so direkt wie der Zusammenstoß mit einem Doppeldeckerbus. Dafür trägt er Sorge, indem er die Kontrolle über seine Musik, seine Kunst und seine Prosa nicht aus den Händen gibt. Nicht für Geld noch gute Worte. Jeden Sonntag geht er bei seiner Mutter Juny, in deren Haus er ein Atelier eingerichtet hat, malen. Über 1500 Gemälde sind über die Jahre entstanden. Picasso ist im Vergleich mit ihm ein schlapper, fauler Sack. Von seinen unzähligen Holzschnitten gar nicht erst zu reden. Einige davon dienten als Cover für Platten, vor allem aber als Illustrationen zu seinen über 30 Gedichtbänden, die er im eigenen Verlag, Hangman Books, herausbrachte. Inzwischen sind zwei Romane bei Codex dazugekommen, ein dritter ist so gut wie fertig. Junger Mann ohne Kleider, der zweite Roman, eine fiktive Autobiografie, wurde im vergangenen Jahr im Berliner Maas-Verlag in deutscher Übersetzung veröffentlicht und ist derzeit noch über Zweitausendeins zu beziehen.

In Deutschland ist Childish allerdings in erster Linie als Musiker bekannt. Ein Blick auf die Liste seiner Vinylveröffentlichungen kann auch Hartgesottenen den Atem verschlagen. Mit den Headcoats, Milkshakes, Mighty Caesars, Singing Loins, Blackhands, Pop Rivets, allein oder mit Sexton Ming, Holly Golightly oder Dan Melchior hat er über 90 Langspielplatten gemacht. Davon ist keine wie die andere, und doch stammen sie alle unverwechselbar aus dem Childish-Universum. Ein Großteil davon ist bei Hangman Records, seinem eigenen Label, erschienen.

Aktuelle Trends lassen Billy Childish kalt. Er nimmt sie – wenn überhaupt – eher amüsiert zur Kenntnis. „Rückständig“ wäre allerdings nicht das richtige Adjektiv für ihn. Billy Childishs Markenzeichen ist eine Art charmante Borniertheit, die ihn immer wieder zu denselben Themen führt, zu denen ihm aber pausenlos etwas Neues einfällt. Er interpretiert sie humorvoll und trist auf Wild-Billy Childish-Art.

Seine verschiedenen Projekte verfolgt er parallel, nacheinander und alle auf einmal. Zu den erfolgreichsten, neben den unvergessenen Milkshakes, gehörten sicher Thee Headcoats und deren Mädchenversion, Thee Headcoatees. Mit Bruce Brand am Schlagzeug und Johnny Johnson am Bass spielten sie über zehn Jahre lang Sixties-Garagenbeat in einer britischen Punkrockfassung, mal mit und mal ohne den Gesang von Holly, Kyra und Sarah. 500 zahlende Zuschauer waren in Japan, Amerika und Deutschland nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel. Wenn der Erfolg an die Tür klopft, kann nach Childishs Logik etwas nicht stimmen. Höchste Zeit also, damit aufzuhören. Im Mai haben sich Thee Headcoats mit einem ausverkauften Riesenkonzert in Nord-London verabschiedet und aufgelöst. Aber selbstverständlich hat Childish längst eine neue Band gegründet (die erste Single ist bereits erschienen): The Buff Medways, mit Wolf Howard von den Solar Flares, am Schlagzeug, spielen frühen Hendrix unter Punkeinfluss, bis die Saiten reißen.

Nach Hamburg kommt Billy Childish alleine. Anlässlich der Veröffentlichung der Doppel-LP Crimes Against Music – Blues Recordings 1986-99 kommt er nach Hamburg und spielt Blues, der klingt als hätte man in Erde gebissen und im Schlamm gebadet. Live ist der Mann ein Erlebnis, das man nie vergisst. Diese Sorte Blues hat nichts mit der Stinkende-Männersocken-Musik bleicher Briten gemein, die gerne auf Deutschlehrerparties gehört wird. Childish klingt wie ein Schnitt in die Pulsadern, tief und tragisch. Strictly-Lo-Fi, eine Gitarre und Füße, die auf den Boden stampfen. Dazu eine Stimme, die weiß wovon sie singt. Das ist schon alles, und es ist mehr als genug.

heute,21 Uhr, Molotow