matthias wüllenweber über . . .

Großmeister und Datenbanken

taz: Wer hat Schach mehr revolutioniert: Sie mit der Erfindung der Datenbank ChessBase oder Kasparow mit deren Nutzung?

Matthias Wüllenweber: Manche Ideen liegen einfach in der Luft. Ohne Kasparows positive Reaktion auf die erste Programmversion und sein Drängen auf Weiterentwicklung in der frühesten Phase wäre ChessBase nie zu Stande gekommen. Für viele Funktionen war Verständnis für die Arbeitsmethoden eines Großmeisters notwendig.

Was hat Ihre Erfindung verändert?

Eröffnungs- und Gegnervorbereitung im Schach bedeutete vor dem Einsatz von Computern eine erhebliche Fleißarbeit mit Papier-Archiven. Sowjetische Spieler waren im Vorteil, weil sie sich staatlich gefördert Sekundantenteams leisten konnten und gemeinsam analysierten. Datenbanken haben eine Art Demokratisierung eingeleitet. Außerdem sind Schachprogramme Analysepartner auf höchstem Niveau geworden. Deswegen bringen heute auch Länder ohne schachliche Tradition und staatliche Förderung starke Großmeister hervor. Das Ost-West-Gefälle im Schach hat sich deutlich nivelliert.

Garri Kasparow war anfangs Ihr bester Werbeträger.

Das hat uns in der Gründungsphase sehr geholfen.

Mittlerweile scheint das Verhältnis zu Kasparow abgekühlt.

Er hat wenig Zeit für Ausflüge nach Hamburg. In softwaretechnischen Fragen stehen wir nach wie vor in Kontakt.

Welche historische Rolle wird Kasparow zukommen?

Für mich ist Kasparow der bedeutendste Schach-Weltmeister aller Zeiten. Er hat wie alle starken Großmeister gegen verschiedene Computer gewonnen und verloren. Die wirkliche Auseinandersetzung Mensch gegen Maschine unter Turnierbedingungen steht noch bevor. Menschen sind lernfähige Wesen, die sich auf die typischen Schwächen von Schachprogrammen einstellen können. Das wird den besten Großmeistern noch etwa drei bis fünf Jahre die Oberhand sichern.

Glauben Sie, dass Kasparow dem Schach erhalten bleibt?

Kasparow liebt das Schach zu sehr, um einfach in den Ruhestand zu treten. Der jetzt von ihm abgefallene Druck, sich ständig als Weltmeister legitimieren zu müssen, wird neue Kreativität freisetzen. INTERVIEW: HAM

Der Hamburger Software-Entwickler Matthias Wüllenweber (39) erfand 1986 ChessBase, die erste Schachdatenbank.