Wer die Wahl hat ...

■ In Vegesack wird der Ortsamtsleiter neu gewählt: Hinter den Kulissen geht es hoch her, CDU, Grüne und AfB verbünden sich gegen die regierenden Sozis

Früher war es noch einfach mit den Klischees: Die CDU war konservativ und pflegte Koalitionen mit der FDP. Während die vielleicht progressiveren Sozis bevorzugt mit den Grünen koalierten. Im Vegesacker Beirat allerdings werden alte Partei-Traditionen zur Zeit komplett ausgehebelt.

Anlass ist die zum Monatsende bevorstehende Wahl des Ortsamtsleiters. Elf Kandidaten stehen zur Wahl. Die besten Chancen scheinen für die Platzhirsche aus Bremen-Nord reserviert: Der bisherige Ortsamtsleiter Reiner Kammeyer, SPD, seit zwölf Jahren im Amt und damit so etwas wie der „Fürst von Vegesack“. Oder: Rainer Buchholz, CDU-Beiratsmitglied aber „kompetenter Gegenkandidat“, wie selbst manche SozialdemokratInnen eingestehen.

Inzwischen gehe es in der Ortspolitik nur noch um Personalien, stöhnen unterdessen die ersten. Denn die Wahl wird möglicherweise denkbar knapp: Sowohl SPD als auch CDU sind auf die Stimmen der drei Ein-Personen-Fraktionen (AfB, Grüne und FDP) angewiesen. Und die wollen die Gunst der Stunde nutzen und mittels „Wahlsprüfsteinen“ die Standpunkte der Kandidaten gründlich durchchecken. Sieben Fragen sollen nächste Woche an die Bewerber in der engeren Wahl gehen. Von den Antworten versprechen sich die drei Parteien, die Vorstellungen des neuen Ortsamtsleiters „verbindlich, nachprüfbar und frühzeitig vor der Wahl“ zu erfahren. Für den Grünen Mitfrager Reinhold Koch sind die Wahlprüfsteine „ein Faustpfand, auf das man den Ortsamtsleiter in ein paar Jahren noch festnageln kann.“

Die Wahlprüfsteine richten sich allerdings indirekt gegen Amtsinhaber Kammeyer. Wie halten es die Bewerber mit der Neutralität im Amt? Oder: inwieweit machen sie frühzeitige Informationen allen Fraktionen zugängig? Wollen sie Bürger-Anträge öffentlich diskutieren und sich nicht auf Kosten des Beirats in der Öffentlichkeit präsentieren? Das fragen die kleinen Parteien genau nach; alles Vorwürfe in Frageform verpackt, die die Grünen wie auch die CDU in der Vergangenheit immer wieder an Kammeyer richteten.

Das Ergebnis der Fragebogenaktion allerdings scheint inzwischen schon Makulatur: Die kleinen Parteien haben sich weit gehend festgelegt. Kurioserweise können sich die Konservativen der Unterstützung durch die Grünen und der AfB ziemlich sicher sein.

Denn beide Fraktionen hoffen mit dem CDU-Mann Buchholz auf Transparenz, im Gegensatz zum alten SPD-Filz in der Beiratspolitik. Als großer Kammeyer-Makel komme hinzu, dass er sich ursprünglich wegbewerben wollte, scheiterte und jetzt doch weiter das Ortsamt leiten will. „Kammeyer muss erst mal schlüssig erklären, ob er wirklich noch voll hinter der Sache steht“, meint AfB-Mann Egon Rostalski. Und der Grüne Koch hält den CDU-Kandidaten inzwischen für weniger konservativ als manchen in der SPD, die als „Betonkopf-Fraktion“ verschrien ist.

Mit den Stimmen der Grünen und der AfB läge der Pädagoge aus der CDU tatsächlich gleich auf mit Kammeyer. Das alles entscheidende Zünglein an der Waage könnte Karin Bazak von der FDP mit ihrer Stimme spielen, wenn nicht noch der eine oder die andere in der CDU oder SPD umkippt.

Wegen der knappen Ausgangslage brodelt inzwischen die Gerüchteküche: Erst soll die Wahl mehr oder weniger zufällig in die Urlaubszeit des AfB-Mannes und Buchholz-Sympathisant platziert worden sein. Inzwischen heißt es: Der Termin stehe noch nicht fest, Rostalskis Urlaub würde aber berücksichtigt. Dann hofften die Buchholz-Unterstützer auf den Rücktritt einer SPD-Frau, die ihre Stimme damit einem Nachrücker und Kammeyer-Feind überlassen würde. Die SPD-Frau dagegen dementiert, überhaupt je über einen Rücktritt nachgedacht zu haben. Im SPD-Lager dagegen grummelt man inzwischen über ein Angebot der CDU und Grünen, die einem Sozi das Amt des Ausschussvorsitzenden zugeschanzt haben, um ihn so vielleicht für CDU-Buchholz umzustimmen.

Jenseits der Gerüchte geht es inzwischen aber um handfeste rechtliche Konflikte, die die Wahl vorab entscheiden könnten: Darf Buchholz als Beiratsmitglied sich selbst wählen oder nicht? Ist das Selbstbevorteilung oder noch legitim, wenn er sich wie schon Ex-Kanzler Adenauer mit der eigenen Stimme die nötige Mehrheit verschaffen würde? Erst im Sommer gab es in Blumenthal einen ähnlichen Fall, dort hatte sich der Kandidat – wie meist – freiwillig enthalten. Besteht Buchholz aber auf sein Stimmrecht, könnte das zum Präzedenzfall für das Bremer Beirätegesetz werden.

Laut Innenressort „trifft die Entscheidung der Beirat“, ob der CDU-Kandidat sich selbst wählen darf oder einem „Mitwirkungsverbot“ unterliegt. Wenn die Mehrheit für Buchholzens Stimmrecht ist, würde aber wiederum der Sitzungsleiter aus dem Innenressort, Jens Knudtsen, entscheiden, ob das rechtlich in Ordnung geht. Zwar war die bisherige Stellungnahme des Innenressort eindeutig: Es könnte durchaus ein Mitwirkungsverbot vorliegen. Aber: Bislang hätte der Wunsch des Beirats durchaus immer Gewicht gehabt.

Das wie und wann der Wahl in Vegesack wird in dieser Woche geklärt. Es bleibt also spannend.

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