DIE SPITZEL-KRISE KANN ÖSTERREICHS REGIERUNG ZU FALL BRINGEN
: Haider im Hinterwald

Da hatten sich die Österreicher schon mit der Katastrophe abgefunden, der Widerstand gegen die rechte Regierung war im Herbst abgeebbt. Die EU-Länder hoben die so genannten Sanktionen gegen Wolfgang Schüssel und Co. auf – die internationale Isolation schien vorbei. Ja, selbst das schwarz-blaue Sparen wird allgemein als notwendig empfunden, wenn man es auch sozial für nicht ausgewogen hält. Die rote und grüne Opposition ist mutlos und unattraktiv. Der Tenor der Regierungskritiker: Die Koalition zwischen der konservativen ÖVP und der FPÖ des Jörg Haider werden wir lang haben – mindestens eine Legislaturperiode, wenn nicht zwei.

Und dann war plötzlich alles wieder anders. Ein führender Polizeigewerkschafter der FPÖ wurde zum Verräter. Er enthüllte das, was man schon wusste – oder zumindest ahnte: Die „rechtspopulistische Partei mit radikalen Elementen und extremistischer Ausdrucksweise“ – so die Qualifikation der FPÖ durch die EU-Weisen – hat über die Jahre hinweg ein Spitzelnetz aufgebaut. Haider und seine Mannen haben sich einen systematischen Zugang zu den geheimen Polizeidaten über politische Gegner verschafft. Und dafür die Beamten regelmäßig bezahlt. Mit so illegal beschafftem Material machte die FPÖ ihre aggressive Politik. Und der amtierende Justizminister, ein enger Freund Haiders und dessen ehemaliger Anwalt, führte früher unter Verwendung solcher Daten Prozesse gegen FPÖ-kritische Medien. Der Skandal ist perfekt – und der erste FPÖ-Minister unter fadenscheinigen Gründen zurückgetreten

Von einem Tag auf den andern ist die depressive Stimmung verschwunden. Hoffnung keimt auf, dass der blau-schwarze Spuk doch bald ein Ende haben und Österreich wieder zu zivilisierter politischer Normalität zurückfinden könnte.

Die verzweifelte und verwirrte Verteidigungslinie der FPÖ macht deutlich: Diese Regierung kann instabiler nicht sein. Da wird zunächst der Skandal als Produkt „kranker Journalistenhirne“ (O-Ton Haider) dargestellt. Dann gejammert, die anderen Partreien hätten auch gespitzelt. Schließlich droht die FPÖ, die Koalition zu sprengen, sollte nur gegen Blau und nicht auch gegen Rot und Grün ermittelt werden. Alles vergebens: Die Medien, die sich noch vor kurzem realpolitisch zurückhielten, haben Blut geleckt. Der ÖVP-Innenminister, der eine Untersuchungskommission eingesetzt hat, will dem Druck der Freiheitlichen nicht nachgeben. Und die Staatsanwälte, die ermitteln, bleiben hart. Verhaftungen führender FPÖ-Politiker – wegen Verdunklungsgefahr – sind nicht ausgeschlossen. Selbst das Szenario eines in Untersuchungshaft einsitzenden Landeshauptmanns Haider ist nicht mehr nur ein antifaschistischer Wunschtraum. Es ist alles möglich.

Auch eine Entwicklung à l’italienne, wo mutige, unabhängige und unbestechliche Richter und Staatsanwälte die Sümpfe trockenlegten und das Nachkriegssystem zum Einsturz brachten. Mani Pulite in Österreich?

Dass die Spitzelaffäre medial und politisch versickert, ist inzwischen höchst unwahrscheinlich. Und die Stimmen, die mit einem Sturz der Regierung spekulieren, werden immer zahlreicher.

Kein Wunder. Die FPÖ ist in einer verzweifelten Situation. Entgegen allen Voraussagen hat sie von den Sanktionen nicht profitiert. Im Gegenteil: Sie befindet sich seit Monaten auf dem Sturzflug – in Meinungsumfragen und bei Regionalwahlen. Und die Popularitätswerte Haiders sind im Keller. Der Spagat zwischen Populismus und Regierungstätigkeit gelingt immer weniger. Die FPÖ – weit davon entfernt, von der ÖVP domestiziert worden zu sein – agiert immer schriller. Trotz der hartnäckigen Versuche des Kanzlers Schüssel, den Konflikt innerhalb der Koalition nicht offen ausbrechen zu lassen – die Spannungen werden immer größer. Wenn Haider den Niedergang seiner Partei irgendwie noch stoppen, sein Lebenswerk retten wollte, dann müsste er mittelfristig die Koalition platzen lassen und mit einem spektakulären Manöver wieder als Robin Hood der Enterbten durch den österreichischen Hinterwald reiten. Und in den bestimmenden ÖVP-Kreisen könnte langsam die Erkenntnis reifen, dass das Schüssel-Projekt der Zähmung Jörg Haiders gescheitert ist.

Die Zeichen stehen jedenfalls auf Sturm. Und langsam kehrt im „anderen Österreich“ jene optimistisch-kämpferische Stimmung wieder, die am 19. Februar dieses Jahres 300.000 Menschen gegen die schwarz-blaue Regierung auf den Wiener Heldenplatz gebracht hat.

GEORG HOFFMANN-OSTENHOF

Leiter des Auslandsressorts beim Wiener Magazin Profil