„Leitkultur ist ambivalent“

Vor der heutigen CDU-Präsidiumssitzung: Fraktionsvize Wolfgang Bosbach über einen kleinen Eingriff seiner Parteichefin und die gefährliche Sehnsucht der Wahlkämpfer

taz: Das CDU-Präsidium entscheidet heute über die Eckpunkte zur Einwanderungspolitik, die Sie mit dem saarländischen Ministerpräsidenten Peter Müller erarbeitet haben ...

Wolfgang Bosbach: Das ist zur Hälfte richtig. Wir haben am Donnerstag Mittag Angela Merkel und Friedrich Merz einen Entwurf übergeben.

Den Begriff „deutsche Leitkultur“ haben Sie dort weggelassen. Warum?

Der Begriff ist nicht nur in der Gesellschaft umstritten, sondern auch in unserer Partei und in der Fraktion. Ich war einig mit Peter Müller, der unsere Einwanderungskommission leitet, dass wir Missverständnisse vermeiden und Geschlossenheit herstellen wollen.

Missverständnisse?

Das Wort „Leitkultur“ ist ambivalent. Man kann den Begriff so auslegen, als sei die deutsche Kultur die Kultur in Europa schlechthin oder gar in der Welt, der sich alle anderen unterordnen sollten. Friedrich Merz hat das nie gesagt, aber es kann klingen, als sei damit gemeint „Deutschland, Deutschland über alles“. Deswegen haben wir unter Verzicht auf den Begriff den Inhalt näher definiert.

Angela Merkel hat in Ihren Entwurf den Begriff der „Leitkultur“ wieder hineingeschrieben. Fanden Ihre Argumente vor den Augen der Chefin keine Gnade?

Also, es heißt jetzt nicht mehr „deutsche Leitkultur“, sondern „Leitkultur in Deutschland“. Außerdem geht es nicht um Begriffe, sondern um Inhalte. Und weil wir deutlich machen, was wir mit Leitkultur meinen, habe ich keine Probleme mit der Ergänzung durch die Parteivorsitzende.

Fürchten Sie als Fachpolitiker, dass die Wahlkämpfer in Ihrer Partei mit dem Thema Einwanderung Stimmung machen wollen?

Für mich geht Genauigkeit vor Schnelligkeit. Es genügt nicht, einfach mit dem Thema in den Wahlkampf zu ziehen, man muss auch einen Inhalt haben. Den Inhalt werden wir aber erst kennen, wenn die Müller-Kommission ihre Arbeit beendet hat.

Haben Ihre Wahlkämpfer so viel Geduld?

Gute Frage! Ich ahne die Sehnsucht der Wahlkämpfer, dass wir uns ganz schnell festlegen. Peter Müller und ich haben aber zum Beispiel bewusst nicht empfohlen, wie die Partei mit dem Asylrecht umgehen soll. Eine verantwortungsbewusste Lösung braucht Zeit.

Wird die CDU-Einwanderungs-Kommission nicht überflüssig, wenn das Präsidium Ihrer Partei heute die Eckpunkte der Einwanderungspolitik bereits festklopft?

Nein, weil wir keine Festlegungen im Detail getroffen haben. Ganz bewusst endet unser Papier mit den offenen Fragen für die Kommission.

Ganz so offen ist es ja nicht. Ausländer sollen zu Integrationskursen gezwungen werden.

Vom deutschen Sozialhilfeempfänger erwarten wir auch, dass er gemeinnützige Arbeit erbringt, wenn er dazu fähig ist. Warum sollen wir von jemandem, der dauerhaft hier leben will, nicht eine Gegenleistung zu Gunsten der Aufnahmegesellschaft fordern? INTERVIEW: PATRIK SCHWARZ