Die Bahnpleite

Wenn der Unternehmensberater kommt: Deutsche Bahn AG macht Milliarden-Minus statt eines angekündigten Plus. Verkehrsminister Klimmt sieht Börsengang 2004 geplatzt

von REINER METZGER

Bahnchef Hartmut Mehdorn übte am Wochenende wieder einmal das, was er seit seinem Amtsantritt im Januar lernen musste: Zu retten, was noch zu retten ist. Verschiedene negative bis katastrophale Meldungen zum finanziellen Zustand der Deutschen Bahn AG und des Schienennetzes versuchte er positiv zu wenden: „Um eine zukunftsfähige moderne Bahn zu schaffen, werden wir jetzt in einem Kraftakt eine Sanierungsoffensive angehen“, hieß es aus der neuen Konzernzentrale am Potsdamer Platz in Berlin.

Zuvor waren der Presse interne Zahlen der Bahn AG zugeschanzt worden. Es handelt sich um erste Ergebnisse der Unternehmensberater von McKinsey, die im Auftrag des Bahnvorstands die AG durchleuchten. Ein vorläufiger, in Tendenzen katastrophaler Bericht soll seit letzter Woche auf dem Schreibtisch Mehdorns liegen. Darin werde aufgedeckt, verriet Bild am Sonntag, dass Bahnmanager jahrelang dringend notwendige Investitionen für Schienennetz, Lokomotiven und Waggons unterlassen haben. So konnte die Bilanz jedes Jahr schöngerechnet werden. Statt zu investieren sei so sehr gespart worden, zitiert die BamS einen „ranghohen Bahnmitarbeiter“, dass der Betrieb kaum noch aufrechtzuerhalten sei.

Solche Aussagen gab es schon früher, vor allem von Gewerkschaften und kritischen Experten. Neu sind die konkreten Zahlen. Laut Spiegel soll die Bahn nicht wie geplant in den nächsten drei Jahren zehn Milliarden Mark Gewinn einfahren, sondern bis 2004 ein jährliches Minus von 800 bis 1.200 Millionen Mark. Selbst 1,5 bis zwei Milliarden Mark Jahresverlust seien laut der McKinsey-Bestandsaufnahme in den nächsten drei Jahren möglich.

Noch am 21. September hatte Bahnchef Mehdorn einen Gewinn für das Jahr 2000 vorhergesagt. Am Wochenende sagte er nun: „Dass die Bahn dabei ist, eine schonungslose Bestandsaufnahme zu machen, die zum Teil erschreckende Ergebnisse hat, ist von mir bereits angekündigt worden. Endgültige Klarheit über das Ausmaß der Zahlen kann es erst geben, wenn wir mit den Gesprächen mit dem Eigentümer Bund, dem Aufsichtsrat und den Arbeitnehmervertretungen durch sind“.

Die Versäumnisse können weniger dem erst seit kurzem amtierenden Mehdorn als den früheren Vorstandschefs Johannes Ludewig und Heinz Dürr (beide CDU) samt ihren teilweise heute noch amtierenden Vorstandskollegen angelastet werden. Ob überhaupt und wer entlassen wird, dazu gab das Büro Mehdorn keinen Kommentar ab.

Eine Konsequenz ist für den Bundesverkehrsminister aber schon klar: Der Börsengang im Jahr 2004 ist geplatzt. Die glänzenden Gewinnperspektiven der Bahn bis dahin hätten sich „als Kinderglaube“ erwiesen, erklärte Bundesverkehrsminister Reinhard Klimmt im Spiegel. Gegenüber den Planungen aus der Kohl-Ära würden bis zum Jahr 2005 satte 17 Milliarden Mark weniger Profit erwirtschaftet als geplant.

Mehdorn will die neuen Milliardenlöcher rund um die Bahn AG nun taktisch nutzen, um mehr Geld von der Bundesregierung für Investitionen in die Strecken zu erhalten. Bei der Bahnreform 1994 hatte die damalige Kohl-Regierung laut Bahnangaben Infrastrukturmittel in Höhe von zehn Milliarden Mark jährlich zugesagt, jedoch „nie in dieser Höhe zur Verfügung gestellt“ (siehe Text unten) – obwohl die Zuständigkeit der öffentlichen Hand unbestritten im Grundgesetz verankert sei.

Auch der Chef der Eisenbahnergewerkschaft Transnet, Norbert Hansen, forderte mehr Geld für die Bahn. Denn auf dem Rücken der 240.000 Bahnbeschäftigten wird eine eventuelle neue Sparrunde vor allem ausgetragen. So ist die Rede davon, dass die McKinsey-Berater in der Bahn-Holding und bei den Zentralen der Konzerntöchter ein Rationalisierungspotenzial von 50 Prozent der Stellen sehen. Die Speisewagengesellschaft Mitropa, die Reinigungskolonnen der Züge und die Instandsetzungswerke könnten abgestoßen oder ausgegliedert werden. Kommen keine neuen Milliarden vom Bund, könnte Mehdorn versuchen, noch viel härtere Maßnahmen zu ergreifen.

Minister Klimmt verwies hingegen im ZDF darauf, dass der Bund bereits für das kommende Jahr zwei Milliarden Mark mehr an Beihilfen eingesetzt habe als ursprünglich geplant. Insgesamt seien für das nächste Jahr mehr als 34 Milliarden Mark für die Bahn vorgesehen. Klimmt forderte zusätzliche Anstrengungen für mehr Wirtschaftlichkeit – es müsse „das wirklich letzte Mal“ sein, dass die Bahn ihre Plandaten nach unten korrigiere.

Für Hartmut Mehdorn ist also Eile geboten. Trotz des politischen Wirrwarrs in der deutschen Bahnpolitik – die Bundesregierung will möglichst wenig zahlen, die Gewerkschaften wollen möglichst wenig Leute entlassen, die Umweltpolitiker möglichst viele Verbindungen, die Bahn- und Bauindustrie will möglichst viele neue Strecken und Züge, die Autolobby die Straße weiter bevorzugen – bleibt ihm wenig Zeit für eine Trendwende bei der Bahn AG.

Im Verkehrsministerium wird schon öffentlich spekuliert, statt des Börsengangs am Sankt-Nimmerleins-Tag vielleicht besser schnell eine Minderheitsbeteiligung an einen ausländischen Verkehrskonzern zu verkaufen. Im Ausland sind immerhin schon mehr oder wenger erfolgreich Bahnen privatisiert worden. Und wenn erst einmal ein Großaktionär über den Aufsichtsrat im Bahnkonzern mitregiert und seine Dividende einfordert, lässt sich das politische Minenfeld vielleicht eher überwinden. Bahnchef Mehdorn hätte dadurch einen zusätzlichen Aufpasser über sich. Da würde seine Fähigkeit, aus allem das Beste zu machen, noch mehr strapaziert werden als bisher.