„Die FPÖ ist schlicht konkursreif“

Interview RALF LEONHARD

taz: Seit Wochen steckt die FPÖ im Zentrum eines Spitzelskandals. Nachgewiesen sind Tausende illegale Abfragen im Erkennungsdienstlichen Informationssystem (Ekis) der Polizei. Ist es bei den Untersuchungen schon gelungen, die illegalen Abfragen in Polizeicomputer eindeutig mit den politischen Auftraggebern zu verbinden?

Peter Pilz: Ja. Das ist auch der Grund, warum Jörg Haider so schwer belastet ist. Ich gehe davon aus, dass das belastende Material zumindest in einigen Fällen eine komplette Beweiskette ergibt. In Österreich wäre es völlig unüblich, dass die Justiz Vorerhebungen gegen einen Landeshauptmann und einen der mächtigsten Politiker einleitet, wenn das nicht sehr gut gedeckt ist. Die Computerabfragen im Ekis sind aber im Grunde kleine Fische. Die dicken, schweren Fälle, das sind die Zugriffe auf die kriminalpolizeilichen und staatspolizeilichen Akten. Da stehen wirklich sensible Geschichten drin, und nur ein sehr kleiner Personenkreis hat Zugang.

Zum Beispiel?

Wir können in einzelnen Fällen den Nachweis führen, wie das gelaufen ist. Ein Beispiel: 5. Juli 1995. Sondersitzung im Nationalrat. Jörg Haider verlangt einen Bericht vom Innen- und vom Justizminister zur inneren Sicherheit in Österreich und hält eine Brandrede gegen die so genannten kriminellen Scheinasylanten. Inzwischen ist belegbar, dass direkt vorher im freiheitlichen Parlamentsklub eine Sitzung stattgefunden hat, an der zwei Funktionäre der freiheitlichen Polizeigewerkschaft AUF mit Aktenordnern teilgenommen haben. Einer davon hat schon ausgesagt und belastet sich selbst und Haider. Er sagt, diese Akte haben wir mitgebracht. Man muss nur das stenografische Protokoll lesen, weil Haider die Eigenart hat, wenn er Akten bekommen hat, kurz nachher triumphierend damit zu winken: Ich zitiere aus dem geheimen Akt der Stapo.

FPÖ-Fraktionschef Peter Westenthaler verkündete in einem „ultimativen Gegenschlag“, der eigentliche Skandal seien Spitzeleien der SPÖ.

Der ultimative Gegenschlag war schon der ultimative Schuss ins eigene Knie. Aber die SPÖ kriegt wahrscheinlich einen Streifschuss ab. Es gibt immer noch einen Unterschied zwischen dem – auch das ist schlimm genug – ganz gewöhnlichen Amtsmissbrauch regierender Innenminister, wie das von Österreich über Deutschland bis Italien, in die USA immer wieder passiert ist, und einer Partei-Stasi, die illegal über Ministergenerationen hinweg betrieben worden ist, mit dem Ziel ein System des perfekten politischen Rufmords zu etablieren. Und der Parteianwalt Dieter Böhmdorfer, der gerichtliche Rufmordzuständige, ist jetzt Justizminister. Derartiges war bei allen Auseinandersetzungen der SPÖ bis heute nicht vorzuwerfen.

Trotzdem: Wie glaubwürdig darf die SPÖ mit Steinen werfen?

Ich halte es für sehr wichtig, dass die SPÖ wie wild mit Steinen wirft und bewusst ihr eigenes Glashaus zertrümmert. Wenn die SPÖ in der Spitzelaffäre die Freiheitlichen angreift, dann wird sie automatisch auf die Leichen im eigenen Keller stoßen. Die Leichen müssen raus. Erst dann ist die SPÖ ein ernsthafter Reformpartner. Das verstehen zum Glück viele an der SPÖ-Spitze, weil das Leute sind, die keine Verantwortung für die Leichen im Keller tragen.

Nachdem die FPÖ an der Regierung ist, stehen ihr ja jetzt auch die Armee-Geheimdienste ganz offiziell zur Verfügung. Was machen die?

Die haben Leute bespitzelt, bei denen sie niemals begründen konnten, warum. Ich hatte einmal im Rahmen eines Untersuchungsausschusses Einsicht. Da hatte zum Beispiel das Heeresnachrichtenamt einen Akt gegen die militärisch ungeheuer bedeutsame Gruppe der Mütter gegen Atomgefahren. Das Verteidigungsministerium leistet sich seine eigene Stasi, noch dazu in doppelter Ausfertigung: das Heeresnachrichtenamt und das Abwehramt. Die sind völlig unkontrolliert. Einer der wichtigsten Offiziere aus diesem Bereich, der Brigadier Jung aus dem Heeresnachrichtenamt, ist freiheitlicher Abgeordneter, Sicherheitssprecher und Mitglied des Verteidigungsausschusses, des Innenausschusses, des geheimen Stapo-Ausschusses und des geheimen Heeresnachrichtenausschusses.

Gibt es da Unvereinbarkeitsbestimmungen?

Erstens ist das selbstverständlich unvereinbar und zweitens ist das selbstverständlich erlaubt. Das ist österreichische Regierungskultur. Der Angehörige eines militärischen Nachrichtendienstes kontrolliert das Parlament, aber das Parlament kontrolliert nicht den Nachrichtendienst.

Manche Leute sprechen bereits von einer Staatskrise.

Es ist mit Sicherheit die größte Krise dieses ersten national-konservativen Systems Österreichs. Es ist durchaus möglich, dass im Dezember oder Jänner oder nach den Wiener Wahlen im März diese Regierung zerbricht. Die FPÖ ist neun Monate nach Regierungseintritt schlicht und einfach konkursreif.

Was heißt das politisch?

Für die ÖVP des Wolfgang Schüssel besteht akute Gefahr, dass die Regierung zerbricht, weil der freiheitliche Regierungspartner implodiert. In der FPÖ ist mit der Spitzelaffäre ein Richtungsstreit ausgebrochen. Setzen sich die durch, die sich um jeden Preis an ihre Regierungssessel klammern, oder geht die FPÖ innerhalb der Regierung auf radikalen Oppositionskurs? Da gibt es einen Punkt, der für Europa von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist: die beginnende Mobilisierung der FPÖ für Volksabstimmungen über die Osterweiterung. Das wird das neue Aufmarschgebiet. Niemand weiß, ob das funktioniert und ob das so tiefe Ressentiments anspricht wie die alten Ausländerwahlkämpfe. Was passiert, wenn sich in Österreich die Meinung durchsetzt, die Tschechen, die Slowenen, die Slowaken haben in Europa nichts verloren?

Und die Rolle des Kanzlers?

Wolfgang Schüssel ist die prominenteste Geisel der Wenderegierung. Wenn Schüssel nach der Spitzel-Affäre gefragt wird, antwortet er nach dem Haider-Skript: „Unschuldsvermutung“. Das Bundeskanzleramt stellt einen Persilschein nach dem anderen aus. Schüssel muss einen Justizminister halten, der im Bericht der drei EU-Weisen als das personelle Hauptproblem der Regierung genannt wird. Er muss einen Landeshauptmann aushalten, der die Spitzelaffäre als „Ausgeburt kranker Journalistenhirne“ bezeichnet hat.

Der Opposition kann's doch nur recht sein, wenn die Regierung so viel Angriffsfläche bietet.

Schon wahr. Aber wir haben ein völlig anderes Problem. Es kann sein, dass die Regierung sehr schnell zerbricht. Sind wir in der Lage, bis dahin eine Alternative zu schaffen? Ich weiß es nicht. Ich plädiere für eine Reformmehrheit, aber ich kann nicht sagen, ob wir in den nächsten Monaten angesichts des Zustandes der Sozialdemokratie, aber auch unserer eigenen Schwächen in der Lage sind, etwas zu begründen, was deutlich besser ist als etwa Rot-Grün in der Bundesrepublik.

Wie konkret sind die Vorbereitungen dafür?

Wir können uns nicht den Kopf der SPÖ zerbrechen. Es ist unwahrscheinlich, dass sich eine Partei, die 30 Jahre den Bundeskanzler gestellt hat, die vollkommen verfilzt, politisch und personell wirklich heruntergekommen ist, binnen eines Jahres erholt, obwohl Spitzenpolitiker sich durchaus bemühen. Aber: Was tun wir mit einer Partei, die aus drei Flügeln besteht. Das ist wie ein altes Hendl, das mit drei Flügeln durch die Gegend flattert: einem kleinen rot-grünen Flügerl, einem meistens ein bisserl versteckten, aber gar net so schwachen rot-blauen Flügel und mit dem alten, runterhängenen Riesenflügel, dem rot-schwarzen. Ich bin mit uns, den Grünen, nicht unzufrieden. Wir sind jetzt eine wirklich gute Opposition. Auch die SPÖ beginnt langsam als Opposition Tritt zu fassen. Aber der nächste Schritt heißt Orientierung. Gibt es eine Alternative zur Dritten Republik?

Was ist die Rolle der Grünen in diesem Orientierungsprozess?

Wir müssen eine politische Führungsrolle in der Republik übernehmen. Eine geistige und politische Führungsrolle, nicht einen größenwahnsinnigen Anspruch, die größte Partei zu werden. Das ist Quatsch. Wir müssen die prägende Partei werden. Ich möchte, dass wir ganz weit wegkommen von der deutschen Geschichte, wo der blade, oide rote Hund sich einen grünen Schweif aufpickt und mit ihm wedelt.