Die Milch macht’s

Schmerzhaft bunt: Die Dependance Deutsche Guggenheim Berlin zeigt mit „Easyfun – Ethereal“ sieben großformatige Gemälde von Jeff Koons

von HARALD FRICKE

Eine Geschichte. Der Künstler ist bekannt, sein Aufstieg märchenhaft, wie so viele Popkarrieren der Achtzigerjahre. 1979 war Jeff Koons noch als Mitgliederanwerber für das Museum of Modern Art angestellt, neun Jahre später hatte er seine erste eigene Retrospektive im Museum of Contemporary Art Chicago. Dazwischen entwickelte der Mann, für den das Label „Smart Art“ erfunden wurde, ein sehr erfolgreiches Marketingkonzept für seine Kunst: Was immer du kritisieren willst, zeig es einfach frei raus! Und wenn du etwas gut findest, dann zeig es noch freier raus! Wenn du denkst, dass die Warenwelt die wirkliche überholt hat, dann gieße diesen Gedanken in rostfreien Stahl! Wenn du glaubst, Frauen würden Staubsauger als Ersatzobjekt für mangelnde Liebe empfinden, dann mach aus dem industriegenormten Hoover ein sexuell aufgeladenes Readymade! Und wenn du auf Oberammergau und Michael Jackson stehst, ist das auch in Ordnung!

Nicht die einzelne Arbeit, sondern die Emphase, mit der sich Koons auf Alltag, Banalität und Massenkultur stürzte, machte seine Kunst so angenehm wirklichkeitsnah. Zugleich war sein System der Verdoppelung der Welt auch für diejenigen eine Denksportaufgabe, die sich mit Zeichen auskannten. Ansonsten gab es noch die Fraktion derer, die den 1955 geborenen Jungen vom Lande, wie er von sich selbst sagt, für den Triumph der „low culture“ bewunderten. Sie waren wohl die Einzigen, die Koons in den Neunzigerjahren treu blieben – und Rainald Goetz, der Koons ein Theaterstück widmete und vor Freude über dessen „Celebration“-Arbeiten von 94/97 ein Buch danach benannte.

Den anderen missfiel, dass sich der Künstler mit der italienischen Pornodarstellerin und Parlamentsabgeordneten Illona Staller für seine „Made in heaven“-Serie beim Sex abbilden ließ – für Amerikas puritanische Museen eine heikle, kaum ausstellbare Angelegenheit. Ohnehin hatte der Pop von Koons immer mehr die Farbe des Geldes angenommen, das nach dem New Yorker Börsencrash nur noch zögerlich in Kunst investiert wurde. Manche Leute behaupten sogar, dass Koons mit immer gigantischeren Projekten und unbezahlbaren Forderungen den Zusammenbruch des Kunstmarktes selbst vorangetrieben hätte, zumindest sein damaliger Promoter Jeffrey Deitch ging während der Krise an der Wall Street fast pleite.

Weg war Koons trotzdem nie. Das merkt man auch an der Selbstverständlichkeit, mit der seine Auftragsarbeiten für die Deutsche Guggenheim Berlin als herausragende „Auseinandersetzung mit der Kultur des Spätkapitalismus“ gepriesen wird – wohlwissend, dass die neue Ökonomie nicht als bunter Kindergeburtstag im koonsschen Sinne auftritt, sondern im Dienstleistungsschick dunkler Armani-Anzüge. Offenbar hat sich Thomas Krens vom New Yorker Guggenheim sehr mit Koons identifiziert, wenn er im Vorwort zu „Easyfun – Ethereal“ schreibt, die neuen Arbeiten würden „die Träume und Phantasien der Kindheits- und Erwachsenenwelt artikulieren“. Immerhin findet Krens es auch dufte, wenn in seinem Museum an der Fifth Avenue BMW-Motoräder ausgestellt werden. Und selbst ein steifer Technokrat wie Rolf-E. Breuer, Vorstandssprecher der Deutschen Bank AG, sieht bei Koons „ein visuelles Schlaraffenland“.

Gestern Hang-up, heute Start-up: Tatsächlich sind die sieben neuen Koons-Gemälde so knackfrisch und üppig wie schon die Spielzeuglandschaften und Geschenkschleifenpaintings aus „Celebration“. Es ist wieder geil zu malen, am besten groß, drei Meter mal vier Meter dreißig. Die Motive hat Koons von Cornflakes-Packungen genommen, aber auch Freizeitparks, Wurstbrote, leckere Cookies und füllige Perücken werden nicht verschmäht. Alles zusammen überarbeitet Koons am Computer zu Bildcollagen, lässt Milch und Flüssigkäse spritzen wie Pollock früher seine Farben und schichtet sich so durch die Kunstgeschichte. Barocke Grotten treffen auf surreale Körperfragmente, verchromte Pop-Art-Stoßstangen schieben sich zwischen Comicaugen, und ewig lockt der Lipgloss.

Dabei sind die Bilder kein wirres Zitatenspiel, sondern unglaublich präzise geordnet. Koons benutzt das Paintprogramm seines Computers wie ein Rasiermesser, das die Images seziert und zerlegt, bevor der Künstler den finalen Mix fertigstellt. Der Rest ist Aufgabe seiner Assistenten, die die Montagen punktgenau auf die Leinwand übertragen. Manchmal hilft Koons sogar beim Malen mit. Denn nur ein perfektes Finish entspricht seiner Forderung, „mit den Massen zu kommunizieren“. Damit ist allerdings nicht der Konsumgüterkitsch gemeint, den man in der Ausstellung sieht, sondern das komplexe Zusammenwirken von „visual culture“ und sozialen Standards. Die Dinge, die bei Koons überdimensional erscheinen, richten sich an das unmittelbare Bedürfnis nach Genuss: Gutes Essen und schöne Körper, darum geht es doch im Leben.

Zugleich macht der „Larger than Life“-Effekt der Bilder diese einfachen Freuden für den Betrachter schier unerreichbar. Plötzlich schrickt man zurück vor dem Optimismus, der einen von den hyperrealistisch gemalten Oberflächen anspringt und doch nur ein billiges Konglomerat aus Badezimmer- und Frühstückswerbung darstellt. Die Reinheit, die Koons auf der Leinwand propagiert, ist eine Absage ans Leben, wenn nicht ein Gegenentwurf. Genau diese Morbidität des kaltgestellten Überflusses macht das Szenario so anziehend: Alle Verschwendung wird nicht mehr im Luxus gesucht, sondern im massenhaften Konsum. Jeder bekommt den Rausch, den er verdient. Koons nennt das „Easyfun“, der Banker Breuer allerdings würde dem „Glamour“ sicher die Askese vorziehen. Wie sollte er sonst den kleinen Anlegern erklären, dass die Bank für eine Summe, über die keiner der Verantwortlichen so recht sprechen möchte, Bilder in Auftrag gegeben hat, auf denen Cocktailgurken lächeln?

Bis 14. 1. 2001, Deutsche Guggenheim Berlin, Unter den Linden. Der Katalog mit einem Essay von Robert Rosenblum ist im Verlag Hatje Cantz erschienen und kostet 48 DM.