Bachelor rein, Humboldt raus

In Marburg zerbrechen sich Archäologen den Kopf über ihre Berufschancen. Die geisteswissenschaftliche Paradedisziplin steht exemplarisch für die Humboldt’sche Uni: Die weiß nicht mehr, für welche Jobs sie ausbildet. Aber auch mit dem neuen Kurzstudiengang „Bachelor“ wird sie nicht glücklich

von CHRISTIAN FÜLLER

Sein Thema sind die Naiskoi, die kleinen hellenistischen Tempel. Torsten Mattern sitzt an seiner Habilitation über diese Bauten im antiken Griechenland. Er schreibt die klassisch archäologische Abhandlung, weil er hofft, sich mit dem viele Hundert Seiten starken Text für eine Professur zu qualifizieren. Wenn Mattern fertig ist, wird er Ende 30 sein. Er weiß, dass weder Alter noch Habilschrift ihm irgendeine Gewähr für einen festen Job in der geisteswissenschaftlichen Paradedisziplin Archäologie bieten. „Ich bin noch vier Jahre hier“, sagt er, „und ich weiß: Dann dreht sich das Glücksrad neu.“

Für viele seiner Kommilitonen dreht sich das Rad schon einige Jahre früher. Aber Glück bringt es nur wenigen Absolventen der Archäologie. Rund ein Drittel der Altertumswissenschaftler, die anhand von materialen Hinterlassenschaften wie Gebäuden, Alltagsgegenständen oder Kunstwerken Einblick in vergangene Hochkulturen suchen, fand sich Mitte der 90er laut einer Befragung in fachfremden Berufen wieder. Dabei hatten die untersuchenden Hochschulforscher des Bayerischen Staatsinstituts damals nur von einem kleinen Teil der befragten Archäologen überhaupt Antwort erhalten. Darunter viele Altertumswissenschaftler mit Doktorhut. In Wahrheit haben mehr als drei Viertel der Archäologen, so die realistische Schätzung, später beruflich nichts mehr mit dem römischen Porträt oder der Architektur in Hellas zu tun – obwohl sie im Studium doch so gründlich und so kreativ interpretiert haben.

Torsten Mattern hat nun in die kleine Universitätsstadt Marburg eingeladen. Anders als in seinem Fach üblich will er zusammen mit seinem Kollegen Claus Dobiat mal weg vom Einzelfall. Das ist gelungen. 240 Studierende haben sich angemeldet, um bei dem Kolloquium „Wunsch und Wirklichkeit: Alternative Chancen für Archäologen“ ihre Berufschancen auszuloten, ehe sie den Magister, Doktor oder gar die Habil in der Tasche haben.

Es verspricht ein interessantes Wochende zu werden. In Marburg stehen nicht allein die Karriereverläufe der Altertumsforscher auf dem Prüfstand. Wenn man so will, wird stellvertretend die berufliche Situation der gesamten Geisteswissenschaft evaluiert. Die Archäologen, die sich als Bewahrer und Interpreten der Wurzeln der europäischen Kultur in Rom und Athen sehen, sind nämlich der Prototyp von Studenten, die im Geiste Humboldts den schönen Künsten nacheifern.

Die erfolgreichen Absolventen der Archäologie stellen zusammen mit den Kunstgeschichtlern einen nicht unerheblichen Teil des Personals für bildungsbürgerliche Institutionen wie Museen mit ihren Ausstellungen, für die Denkmalpflege oder den Kunsthandel. Der Einfluss dieser Wissenschaft auf Kunst und Kultur Europas gilt seit Johann Joachim Winckelmanns „Geschichte der Kunst des Altertums“ als nachhaltig. Wer Winckelmann, der die Archäologie im 18. Jahrhundert begründete, nacheifert und sein Studium beginnt, der tut das kaum aus Jux und Dollerei. Latein und Altgriechisch sind hier obligatorische Voraussetzung.

Bert Wiegel ist ein Fall, der seine Brötchen am Rande der Altertumswissenschaft verdient. Wiegel ist heute Geschäftsführer des archäologischen Verlags Marie Leidorf. Es gibt andere, die, auch das ist nicht fern liegend, in der Touristik gelandet sind. Aber welche archäologische Methode bringt etwa Dirk Lenz bei seinem heutigen Arbeitgeber ein, dem Telefonunternehmen Viag-Interkom? – Aber es wäre ganz falsch, die Archäologie zu unterschätzen. Selbst Wiegel, dessen verlegte Titel dem Außenstehenden eher fremd bleiben, ist eine Art Trendsetter. Weil die Archäologie wichtige, aber nur für einen kleinen Adressatenkreis bestimmte Bücher braucht, operiert er mit „Print on demand“ – einer Technologie, die auf dem Markt der Online-Buchvertriebe bald eine große Rolle spielen wird. Archäologe Wiegel aber ist da Vorreiter – er betreibt Digitaldruck bereits seit Mitte der 90er.

Nun könnte es sein, dass die am Altertum geschulten Akademiker Vorreiter auch in bildungspolitischen Fragen werden: Erstmals unterzieht eine Uni-Disziplin in der Bundesrepublik den Bachelor einer grundsätzlichen Diskussion. Während der angelsächsische Kurzstudiengang hierzulande überall eingeführt wird, stellt mancher Archäologe den Examensimport in Frage. „Unsere Art des Methodenstudiums“, meint Torsten Mattern, „verträgt sich gar nicht mit dem Bachelor.“

Matterns Fachkollegin aus Göttingen, Claudia Kleinwächter, weiß auch, warum: Wer den Bachelor einführt, der verbannt Humboldt aus dem Studium – und das, obwohl die Ideen des totgesagten Erfinders eines gemeinsamen freien Studiums von Studiosi und Professores bei den Archäologen fröhlich weiterleben. „Es gibt bei uns praktisch keinen Lernstoff, der durch Lehrbücher vermittelt werden kann,“ sagt Kleinwächter. Wenn ihre Studierenden sich etwa der mittelaugusteischen Bauornamentik im Hauran nähern sollen, so gelte für sie Eigeninitiative und Methodenstreit: „Wie erarbeiten Sie sich das Thema? Wie gehen Sie da ran?“, fragt Kleinwächter dann.

In mancher Bachelor-Paukbude in den Niederlanden oder England würde ein so spezielles Herangehen Verzweiflung auslösen. Gut begründetes Räsonnieren über Methoden ist nicht durch leicht verdauliche Wissensportionen eines Kurzstudienganges zu ersetzen: Ein Bachelor-Programm verlangt nach Lehrstoffen, die für das ganze Fach relevant sind und die im Curriculum immer wieder auftauchen sollen. „Das Konzept des Bachelor ist für uns zur Zeit noch völlig unausgegoren“, resümiert die Göttinger Archäologin.

Dennoch haben mehrere Universitäten, auf ministerielle Anordnung hin, den Versuch unternommen, den Bachelor und die Archäologie zusammenzubringen – sie stehen nun vor einem Scherbenhaufen. Ein Mitarbeiter des Greifswalder Instituts etwa berichtete jüngst beim Archäologentag in Halle, dass dem Fach der neue Abschluss beinahe aufgezwungen worden sei. Nur wiederwillig sei ein komplexes Curriculum aus Mikro-, Basis- und Aufbaumodulen zusammengebastelt worden, und zwar „durch kosmetische Korrekturen am Magisterstudiengang“. Bislang habe sich aber noch kein Student in den Studiengang verlaufen – glücklicherweise. „Wir würden in der Studienberatung auch davon abraten“, verriet der Greifswalder der verdutzten Kollegenschaft in Halle.

Hätte der Bachelor Torsten Mattern genutzt? Vielleicht endet der Dozent gar nicht auf einem Lehrstuhl, sondern als habilitierter Reiseführer, der Touristen in Athen die Akropolis und den darauf stehenden Parthenon-Tempel ziemlich gut erklären kann. Dafür, spottet er, „hätte mir auch der Bachelor gereicht.“ Die Naiskoi aber, die kleinen hellenistischen Tempel hätte er dann gar nicht kennen gelernt. Schade.