„Die Kraft der Extremisten ist gebrochen“

Der multiethnische Distrikt Brčko soll bei den bosnischen Wahlen am kommenden Wochenende zu einem landesweiten Symbol für Toleranz werden. Die Chancen dafür stehen gut, trotz der jüngsten Terroranschläge von Nationalisten

BRCKO taz ■ Nach außen hin ist es ein Wahlkampf wie jeder andere. Wimpel der Parteien flattern im Wind, Wahlplakate kleben an den Häuserwänden der bosnischen Stadt Brčko. Doch in dem im April dieses Jahres zu einem eigenständigen Gebilde erhobenen Distrikt ticken die Uhren anders als im restlichen Bosnien und Herzegowina. Hier werben alle Parteien aller ethnischen Gruppen des durch den Krieg in zwei Hälften zerrissenen Staates. Die kyrillisch beschrifteten Wahlplakate der serbischen Parteien hängen neben den mit lateinischen Lettern werbenden Parteien der Muslime (Bosniaken) und Kroaten.

Fünf Jahre nach dem Friedensabkommen von Dayton soll hier in Brčko bei den Wahlen am kommenden Wochenende ein Zeichen gesetzt werden, für Toleranz und Verständigung im Zusammenleben der verschiedenen Bevölkerungsgruppen. „Wenn das Zusammenleben hier nicht funktioniert, wo soll die Integration Bosniens sonst noch klappen?“, fragt Montserrat Radigales, die spanische Pressesprecherin der internationalen Gemeinschaft in Brčko.

Der neu geschaffene Distrikt sei ein Experiment. Ehemals zu fast 80 Prozent von Muslimen und Kroaten bewohnt, seien die Stadt und ein Teil der ländlichen Gemeinden nach der Besetzung durch serbische Freischärler und jugoslawische Truppen 1992 „ethnisch gesäubert“ worden, erklärt sie, „doch heute kommen viele Leute wieder zurück“.

Als wichtigster strategischer Punkt des Krieges war das Gebiet um Brčko bis 1995 von beiden Seiten heftig umkämpft. Auch nach Dayton blieb der Status umstritten. Um ein Abkommen abschließen zu können, musste das Problem Brčko in Dayton ausgeklammert und die endgültige Entscheidung einer Schiedskommission übertragen werden.

1999 wurde endlich ein Kompromiss gefunden: Der 30 Kilometer lange und bis zu 15 Kilometer breite Distrikt Brčko umfasst seither die bislang zum serbisch-bosnischen Teilstaat Republika Srpska gehörende Stadt wie den ehemals serbisch kontrollierten „Korridor“ und das weit gehend von Kroaten und Muslimen bewohnte und zur kroatisch-bosniakischen Föderation gehörende Hinterland. Nach Schätzungen leben heute rund 80.000 Menschen hier.

Der so geschaffene Distrikt hat ein eigenes Parlament, eine multiethnische Distriktsverwaltung unter dem internationalen Administrator Gary Mathews. Das Parlament kann Gesetze erlassen, ist aber dem Gesamtstaat Bosnien und Herzegowina untergeordnet. „Die Zusammenarbeit funktioniert, auch die Polizei ist multiethnisch“, sagt Radigales. „Der Präsident der Distriktsversammlung ist ein Serbe, seine Stellvertreter kommen aus den beiden anderen Bevölkerungsgruppen.“

Auf den ersten Blick herrscht tatsächlich eine entspannte Atmosphäre. Viele Menschen genießen in den Straßencafés die letzten Sonnenstrahlen des Jahres. Auch der 35-jährige Haris M., ein Bosniake, 1992 aus der Stadt vertrieben, dann nach Deutschland geflüchtet. Er ist zu Besuch, denn seine Mutter hat das Haus der Familie wiederbekommen. „Die Angst, sich offen zu bewegen, ist zwar weg“, sagt er zu Joko, seinem serbischen Freund, den er noch von vor dem Kriege kennt. „Doch noch passieren Dinge, die uns beiden nicht gefallen.“ Worauf er anspielt, sind die Ereignisse von Mitte Oktober. Da zog ein serbischer Mob durch die Straßen und zerstörte 30 Geschäfte von bosniakischen und kroatischen Rückkehrern. Die Täter riefen: „Dies ist Serbien, kein Distrikt!“ Die Polizei begann zu ermitteln, bislang ohne Ergebnis. Es hat sich eine Organisation mit dem Namen „Ravnagorski Cetnicki Pokret“ (Tschetnikbewegung) zu Wort gemeldet, die mit weiteren Terroranschlägen gegen Rückkehrer und internationale Mitarbeiter droht.

Auf dem Hauptplatz hat die Serbische Demokratische Partei (SDS) zu ihrer Hauptwahlkundgebung aufgerufen. Der Spitzenkandidat der Nationalisten, Miroslav Sarević, und Vertreter der DOS aus Belgrad, die die SDS unterstützen, sollen sprechen. Doch es versammeln sich nur einige hundert Menschen auf dem Platz. Es sind arme Leute, meist Flüchtlinge, die in Brčko noch auf die Nationalisten setzen. „Die Kraft der Extremisten, die Menschen zu mobilisieren, ist gebrochen“, sagt Joko, „hier im Distrikt bleiben sie in der Minderheit. Die Terroristen aber bleiben gefährlich.“ ERICH RATHFELDER