Mit der CDU demonstrieren?
nein

Die morgige Großdemonstration gegen rechts in Berlin ist kaum mehr als eine Selbstbeweihräucherung und inszenierte Vermittlung eines Bildes guter Menschen, die sich jetzt mal wieder unterhaken, meint die Antifa-Aktivistin Anna Richter .

taz: An der Großdemonstration werden sich die antifaschistischen Gruppen und Organisationen nicht beteiligen – auch weil dort die CDU zur Teilnahme aufgerufen hat. Seit wann lassen sich die Antifas von der CDU ausgrenzen?

Anna Richter: Wir lassen uns nicht ausgrenzen. Wir sehen die Großdemonstration in erster Linie als mediale Inszenierung zur Außendarstellung des so genannten guten Deutschlands. Da auf der Demonstration Kräfte wie die CDU beteiligt sind, die faktisch die Abschaffung des Asylrechts durchgesetzt haben und die jetzige Regierung diese Abschiebepraxis weiter verfolgt, ist das für uns kein Raum, um antifaschistische und antirassistische Inhalte in die Öffentlichkeit zu tragen.

Die Kundgebung wird doch mehrheitlich von anderen Gruppen getragen: von linken Sozialdemokraten, Gewerkschaften, jüdischen Institutionen, den Grünen, der PDS und anderen? Was ist da der Dissens?

Das ist zwar richtig. Dennoch haben wir nicht die Chance, die Aussage und Richtung dieser Inszenierung zu verändern.

Die Aussage richtet sich gegen Neofaschismus. Ist das nicht eindeutig genug?

Es kann nicht allein um Nazis und deren Angriffe gegen jüdische sowie ausländische Personen und Einrichtungen gehen. Solange es nicht um die bestehende staatliche Politik geht, die auch eine rassistische ist, gibt es da keinen Konsens. Daran wird die Beteiligung von PDS oder Künstlergruppen nichts ändern.

Kritiker sehen in dem Aufruf „Wir stehen auf für Menschlichkeit und Toleranz“ eine Renaissance nostalgischer Lichterkettendemonstrationen der Neunzigerjahre. Lässt sich das vergleichen?

Ja. Wir sehen in dem Aufzug kaum mehr als die Selbstbeweihräucherung und die inszenierte Vermittlung eines Bildes guter Menschen, die sich jetzt wieder mal unterhaken.

Ist es nicht inkonsequent von antifaschistischen Gruppen, die so genannte schweigende Mehrheit zwar aufzufordern, gegen rechts sich zu artikulieren und zu handeln, sich zugleich aber einem solchen Aktionstag zu verweigern?

Inkonsequent finden wir, dass etwa am vergangenen Wochenende, als in Berlin der bislang größte Naziaufmarsch stattgefunden hat, von all diesen Kräften so gut wie niemand auf der Straße war. Da wäre es möglich gewesen, genau mit den Forderungen nach einem „Aufstand der Anständigen“ und mit Zivilcourage dem direkt entgegenzutreten. Wir haben von den Anständigen niemand gesehen.

Ist, wie etwa bei der PDS, in Reihen der antifaschistischen Gruppen das Fernbleiben von der Großdemonstration umstritten?

Nein, das ist Konsens. Außerdem rufen wir alle auf, die sich an diesem Tag engagieren wollen, sich an der Kundgebung der „Antifaschistischen Initiative Moabit“ zu beteiligen, die alljährlich dort zum 9. November stattfindet.

Kommen auf der Demonstration in Moabit nicht, wenn nicht die gleichen, so doch ähnliche Aussagen zum Tragen?

Vielleicht. Aber der wesentliche Unterschied wird sein, dass wir die Verbindung zwischen staatlichen Repressionen gegen ausländische Mitbürger, dem alltäglichen Rassismus und dem Treiben von Neonazis auf der Straße thematisieren.

Wo bleibt das Gedenken an den ursprünglichen Anlass, zur Erinnerung an den 9. November 1938 zu demonstrieren?

Die Demonstration findet seit Jahren aus genau diesem Anlass statt. Die Erinnerung an die Pogromnacht der Nazis und die Notwendigkeit, daran zu erinnern, ist bei uns nicht marginal.

INTERVIEW:

ROLF LAUTENSCHLÄGER

ja

Die CDU auszugrenzen hieße, genau das zu tun, was einige innerhalb der Union wünschen, meint Niedersachsens Ministerpräsident Sigmar Gabriel (SPD).

taz: Der CDU wird von Kritikern vorgeworfen, mit der Diskussion über „deutsche Leitkultur“ die Stammtische zu bedienen und um den rechten Rand zu werben. Ist sie noch ein geeigneter Partner für die Großdemonstration morgen in Berlin?

Sigmar Gabriel: Ich finde, dass die CDU nicht aus der Verantwortung entlassen werden darf, sich an Aktionen gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Antisemitismus zu beteiligen. Ich verstehe überhaupt nicht, wie man angesichts einer internen Debatte innerhalb der CDU überhaupt auf die Idee kommen kann, sie sei kein geeigneter Partner für diese Demonstration. Vorwerfen kann man ihr, dass sie so lange gebraucht hat, um sich zu beteiligen. Wenn wir sie jetzt ausgrenzen, tun wir genau das, was sich einige in der CDU offenbar wünschen.

Die Debatte über die Leitkultur ist doch keine interne Angelegenheit der Union mehr.

Die Diskussion ist im Wesentlichen eine ideologische Diskussion. Mein Problem ist, dass wir über dieses Stöckchen springen, das uns da hingehalten wird. Das finde ich völlig albern. Was ist denn bei der ganzen Sache herausgekommen? Die CDU definiert nun, was wir alle definieren, dass nämlich die ersten zwanzig Artikel unserer Verfassung für die politische Kultur der Bundesrepublik prägend sind. Wenn die CDU darüber eine riesige Diskussion anzetteln muss, dann zeigt das, dass sie offensichtlich in Themennot ist und dass es darüber offenbar Meinungsverschiedenheiten gibt. Ich finde übrigens, dass es der CDU durchaus auch gut tut, ihr Verhältnis zu Recht und Gesetz zu definieren, und ich wünsche da gute Besserung.

Nun werden mit bestimmten Begriffen ja auch immer politische Signale ausgesandt. Angela Merkel bekennt sich jetzt demonstrativ zu Vaterland und Nation.

Den Begriff Vaterland halte ich für antiquiert. Was ist eigentlich mit den Müttern? Es geht doch ganz offenkundig darum, dass Frau Merkel fürchtet, ihr liberales Image schade ihr bei den Rechtskonservativen in der Partei. Die CDU bemüht sich um eine Neubestimmung ihrer Position, und das halte ich bei einer Oppositionspartei für normal.

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Peter Struck hat Frau Merkel vorgeworfen, „Nazi-Vokabeln“ gegenüber Sozialdemokraten zu benutzen, weil sie einem Teil Ihrer Partei ein gestörtes Verhältnis zu den Begriffen Vaterland und Nation vorwirft.

Frau Merkel versucht, der SPD das Etikett von den „vaterlandslosen Gesellen“ anzukleben. Das halte ich für schlimm, ich halte es sogar für eine Sauerei, und zwar auch deshalb, weil Frau Merkel zu denen gehört, die von der Ostpolitik Willy Brandts profitiert haben. Diese Art des Umgangs miteinander in der Politik hätte ich ihr nicht zugetraut. Aber offenbar sozialisiert die CDU alle Menschen auf dieselbe Weise, egal, wie liberal sie angefangen haben.

Und mit denen wollen Sie gemeinsam gegen rechts kämpfen?

Auch zwischen dem bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber und mir bestehen große Meinungsverschiedenheiten, trotzdem setzen wir uns gemeinsam für ein Verbot der NPD ein.

INTERVIEW: BETTINA GAUS