9. November 2000: Anständiger Aufstand

Die ganz große Koalition gegen rechts geht morgen auf die Straße. Hunderttausend werden erwartet. Doch Rechtsaußen in CDU/CSU und linke Antifaschisten scheren aus dem breiten Bündnis aus

BERLIN taz ■ Die Berliner Polizei erwartet zu der Großdemonstration „für Menschlichkeit und Toleranz“ am morgigen 9. November bis zu 100.000 Teilnehmer. Auf Grund der massiven Werbung für die Demonstration würden die ursprünglichen Erwartungen vermutlich übertroffen, sagte ein Polizeisprecher gestern. Die Hoffnung der Veranstalter auf ein „breites gesellschaftliches Bündnis“ wird sich dennoch nicht ganz erfüllen.

Vor allem die Beteiligung von CDU und CSU ist weiter heftig umstritten – sowohl in der Union selbst als auch bei ihren politischen Gegnern. Die Parteichefs Angela Merkel und Edmund Stoiber werden zwar in der ersten Reihe marschieren, doch ihr rechtes Fußvolk zieht nicht mit: Nach Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm sprachen sich gestern weitere Unionspolitiker gegen die Demonstration aus und kündigten ihr Fernbleiben an. Die CDU-Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach sprach von einer „Schauprozession, die letztlich inhaltlich nichts aussagt“. Ihr hessischer Fraktionskollege Martin Hohmann warf den Veranstaltern „Begriffsunschärfe“ vor. Es sei der Eindruck entstanden, dass es allgemein gegen rechts gehe, sagte Hohmann. Deshalb werde er auf keinen Fall teilnehmen.

Auch auf der anderen Seite des politischen Spektrums scheren einige linke Gruppen aus dem „breiten Bündnis“ aus und rufen zu einer Gegendemonstration auf. Anna Richter von der Antifaschistischen Aktion Berlin erklärt im taz-Interview, ihre Gruppe werde an der Großdemo nicht teilnehmen, „da auf der Demonstration Kräfte wie die CDU beteiligt sind, die faktisch die Abschaffung des Asylrechts durchgesetzt haben und die jetzige Regierung diese Abschiebepraxis weiter verfolgt“.

Trotz der Kritik an dem „Leitkultur“-Beschluss der CDU vom Montag sieht Niedersachsens Ministerpräsident Sigmar Gabriel (SPD) die Christdemokraten als Bündnispartner. „Ich verstehe überhaupt nicht, wie man angesichts einer internen Debatte innerhalb der CDU überhaupt auf die Idee kommen kann, sie sei kein geeigneter Partner für diese Demonstration“, sagte Gabriel der taz. Vorwerfen könne man der Union lediglich, dass sie zu lange gebraucht habe, um sich zu beteiligen. „Wenn wir sie jetzt ausgrenzen, tun wir genau das, was sich einige in der CDU offenbar wünschen.“ LKW

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