Fulminante High Fiedel-ity

■ Lamentierende Geigen, nächtliche Sternenhimmel: Die Australier „The Dirty Three“ laden zur Zauberstunde ins Knust

Seit 1992 gibt es die Combo der drei „dreckigen“ Australier. Bis heute haben sie ihrem Namen auf der Bühne und im Studio wenig Ehre gemacht. Es ist filigran improvisierte Instrumentalpoesie, irgendwo im vermeintlichen Niemandsland zwischen Debussy und Folkrock, mit dem Geiger Warren Ellis, Gitarrist Mick Turner und Schlagzeuger Jim White auf ihren Auftritten verzaubern. Die Genese des Bandnamens wird daher bevorzugt auf verwüstete Hotelzimmer und ein chaotisches Tourbus-Interieur zurückgeführt.

Die bis dato veröffentlichten vier Alben pflegten vor dem Hintergrund der fulminant dynamischen Live-Shows zu verblassen. Das neueste Werk könnte diesen Spieß jedoch umdrehen. Auf Whatever You Love, You Are ist Ellis' romantisch klagende Violine häufig gleich mehrfach präsent. In „Some Summers They Drop Like Flies“ bauen sich übereinander geschichtete Melodien zu magischen Klangkosmen auf. Ähnlich beginnt der dritte Track „I Offered it p to the Stars nd the Night Sky“ mit einem atonalen Geigenkanon, der sich in lauschiges Wohlgefallen auflöst. Diese Effekte der hohen Fiedelkunst bei ihrem Gig im Knust umzusetzen, dürfte den Dirty Three ohne die Nutzung unerlaubter Hilfsmittel schwerfallen.

Doch es ist nicht zu erwarten, dass dies die Show ihrer Wirkung berauben wird. Im Gegensatz zu den Vorgängeralben gibt Whatever You Love, You Are auch schon mal einen Vorgeschmack auf die Klangwelt einer Dirty Three-Darbietung. Intuitive, live-artige Ausbrüche und Improvisationseskapaden der drei Virtuosen heben „Stellar“ heraus aus den restlichen fünf epischen Stücken, jeweils zwischen 6 und 13 Minuten lang. Die wiederum hypnotisieren den geneigten Hörer mit wallenden Gitarrenriffs, boleroähnlichen Schlagzeugrhythmen und der über allem schwebenden Violine des „fiddling frontman“ Ellis. Der schwingt sich im letzten Track „Lullabye for Christie“ fiedelnd hinauf in den nächtlichen Sternenhimmel. Wer für dessen Betrachtung noch die entsprechende Untermalung sucht, ist bei Dirty Three goldrichtig aufgehoben.

Zuweilen erinnert ihr keltisches Lamento an das Intro des New Model Army-Klassikers „Vagabonds“ und die dazugehörige Stimmung: „We follow the taillights out of the city, moving in a river of red“. Wer nicht weiß, ob er sich auf eine solche Reise einlassen soll, dem sei erzählt, dass Dirty Three 1995 zusammen mit Nick Cave die Vorführung eines Stummfilms von Carl Dreyer live vertonten und mit dem Landsmann auch zwei Songs zur X-Files-Musik beisteuerten. Will heißen: Gänsehaut garantiert.

Timm Christmann

heute, 21 Uhr, Knust