Während du schliefst

Im Auftrag der Chefredaktion auf bizarrer Russensuche

„Ein Gentleman ist ein Mann, der Dudelsack spielen kann, es aber nicht tut.“ (Ralf Sotscheck)

Neulich träumte eine hier nicht näher zu bezeichnende Person einen bizarren Traum: Die Träumende, die wir fortan T. nennen wollen, befand sich im taz-Gebäude, das mit einem festlich hergerichteten Foyer ausgestattet war. Es gab einen mächtigen, hell erleuchteten Kristallkronleuchter und große Treppen mit roten Teppichen.

Die herumstehenden Redakteure trugen Frack bzw. Abendkleid und hielten Sektgläser. Plötzlich schoss die rothaarige Chefredakteurin aufgeregt auf T. zu und rief: „Du kennst doch den Russen, der hier immer herumläuft. Du musst ihn sofort finden und ihm sagen, dass er heute Abend auf gar keinen Fall Geige spielen darf. Er muss unbedingt Dudelsack spielen, sonst will der Sänger nicht singen.“ Mit diesen Worten drückte sie T. einen Jutebeutel in die Hand und verschwand. T. schaute in den Beutel und fand darin die Einzelteile eines Dudelsacks. T. baute die Teile so zusammen, bis es dudelsäckig aussah. Den Jutebeutel ließ sie liegen und machte sich mit dem Dudelsack auf die Suche nach dem mysteriösen Russen, den sie – entgegen der Annahme der Chefredakteurin – keineswegs kannte. So durchstreifte sie sämtliche Stockwerke des Neu- und Altbaus, in der Hoffnung, der Russe möge ihr begegnen und sie möge ihn auch erkennen. Doch niemand begegnete ihr, nicht ein Kollege, den sie hätte fragen können. Sämtliche Ressorts waren wie ausgestorben, es war gespenstisch. Doch T. wollte nicht in ihrer Suche innehalten, bis sie den Dudelsack an den Russen übergeben und damit den Auftrag der Chefredakteurin erfüllt hatte. Wild entschlossen begab sie sich an den letzten Ort, an dem sie noch nicht gesucht hatte: den Keller. Dort streifte T. durch lange, dunkle Gänge, bis sie an eine Tür kam, hinter der sie Geräusche hörte. Vorsichtig klopfte T. an diese Tür, öffnete sie behutsam und schob ihren Kopf hindurch.

Sie blickte direkt in eine helle Garderobe, in der Redakteure und Redakteurinnen vor großen Spiegeln saßen und sich schminkten. T. fragte: „Gibt es hier einen Russen?“ Ein circa 60-jähriges Männchen im Frack antwortete: „Ich bin der Russe.“ T. übergab ihm erfreut den Dudelsack und sagte: „Ich soll ihnen von der Chefredakteurin ausrichten, sie dürfen heute Abend auf keinen Fall Geige spielen, sie müssen unbedingt Dudelsack spielen. Sonst will der Sänger nicht singen.“ Der Russe antwortete: „Verstehe. Alles klar.“

Dr. Freud, übernehmen Sie.

CORINNA STEGEMANN