„Das sind Wegwerfsieger“

Der Experte im Sportmarketing, Werner Köster, über die Dreifaltigkeitslehre der Vermarktung von Topathleten, den Wert von Goldmedaillen und die Vergänglichkeit von Ruhm und Geldfluss

Interview FRANK KETTERER

taz: Herr Köster, was ist eine olympische Medaille wert?

Werner Köster: Diese Frage kann man in der gebotenen Kürze überhaupt nicht beantworten. Ich will deshalb sagen, was eine Medaille nicht ist: Es ist auf keinen Fall so, dass man sie oben in einen Schlitz hineinwirft und unten dann ein Werbevertrag rauskommt. Eine olympische Medaille steht für sportlichen Erfolg, und dieser Erfolg ist ganz klar ein wichtiger Aspekt. Aber eben nur ein Punkt von mindestens drei, die ein Sportler erfüllen muss, um werblich von Interesse zu sein.

Gold bedeutet also nicht automatisch Geld.

Richtig. Das sieht man schon an den Sportlern, die bei den vergangenen Spielen die Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben: 1992 in Barcelona war es Franziska van Almsick, 1996 in Atlanta Frank Busemann. Beide hatten kein Gold, sondern Silber, aber beide gingen als Gewinner aus diesen Spielen hervor.

Wovon hängt prinzipiell ab, ob sich ein Sportler vermarkten lässt oder nicht?

Einen Punkt, den sportlichen Erfolg, haben wir ja schon genannt. Ein zweiter Punkt ist die jeweilige Bedeutung, die man einer bestimmten Sportart in Deutschland zubilligt. Und der dritte Punkt betrifft die Ausstrahlung eines Sportlers, was gerade bei Mädchen oft aufs Aussehen verkürzt wird. Wobei es bekloppt wäre zu sagen, dass gutes Aussehen schädlich ist, ganz im Gegenteil.

Auf welchen dieser drei Punkte kommt es hauptsächlich an?

Man kann da keine Reihenfolge festlegen. Man kann das nicht in Prozent ausdrücken. Ohne Erfolg geht es sicher nicht; wobei man sich da schon wieder fragen muss, was Erfolg eigentlich ist. Für mich muss es nicht immer gleich der Olympiasieg sein.

Sondern?

Ich habe mich immer furchtbar aufgeregt, wenn Magdalena Brzeska ständig als Beispiel dafür herhalten musste, dass jemand sportlich überhaupt keinen Erfolg hat und trotzdem, und das eben nur wegen des Aussehens, wirtschaftlich gut versorgt ist. Die meisten von den Leuten, die das so eingeschätzt haben, waren garantiert nicht 26-mal Deutscher Meister, so wie es Magda in der Rhythmischen Sportgymnastik war.

Andererseits . . .

Andererseits gibt es natürlich Sportler, die mehr Erfolg hatten und weniger Geld dafür bekommen haben als sie. Ich glaube, dass die Werte aus den drei angesprochenen Punkten sich nicht addieren, sondern potenzieren. Soll heißen: Wenn ein Punkt ganz ausbleibt, fällt man schnell ab.

Oder man macht es so wie Eric Moussambani, weltbekannt als Eric the Eel. Der ist nur hinterher geschwommen.

Na gut, das kennen wir ja von Eddy the Eagle, dem Skispringer, das ist ein ganz schmaler Grat. Als die Siegestour dieses Langsamschwimmers durch die Fernsehstudios von Sydney begann, habe ich mir überlegt, ob da nicht jemand ausgenutzt wird. Wobei er sich auch gerne hat ausnutzen lassen. Letztendlich muss man einfach anders sein als die anderen, einzigartig. Der Letzte ist das eben auch.

Manche meinten, der junge Mann aus Äquatorial-Neuguinea sei von vornherein nichts als ein Werbegag gewesen und bereits mit Sponsorenverträgen in der Tasche nach Sydney gereist. Ist das denkbar?

Das wäre fürchterlich.

Herr Köster, wovon hängt ab, ob eine Sportart ankommt?

Heutzutage kann man das ganz einfach daran festmachen, ob sie eine Fernsehrelevanz hat oder nicht.

Aber das Fernsehen springt doch jeweils erst spät auf den bereits fahrenden Zug auf.

Das ist schon richtig. Wobei gerade Tennis und Radfahren eine Besonderheit haben: Sie sind fast omnipräsent, wenn sie erst mal vom Fernsehen gezeigt werden. Ein 100-Meter-Lauf dauert zehn Sekunden, eine Tour de France drei Wochen. Da ist die Chance da, dass sich ein Spannungsbogen aufbaut. Gleiches gilt auch für ein Grand-Slam-Turnier über 14 Tage.

Dennoch ist Radfahren ganz offenbar nicht gleich Radfahren. Oder warum sonst redet nach dem Olympiasieger Jan Ullrich keiner mehr über den Olympiasieger Robert Bartko?

Warum hätte in der zweiten Olympia-Woche noch jemand von Robert Bartko reden sollen, der sein Gold am zweiten Tag der Spiele gewonnen hat? Genau das ist doch das Problem, das Olympiasieger teilweise haben: Wenn manche der Zutaten, von denen wir gesprochen haben, nicht vorhanden sind, sind das fast Wegwerfsieger. Sieger für einen Tag, so lange eben, bis der nächste Sieger da ist.

Vor vier Jahren hat der Turner Andreas Wecker seinen Olympiasieg von Atlanta mit der Hoffnung kommentiert, dass er nun genauso bekannt werde wie Boris Becker.

Wichtigster Punkt, dass Andreas finanziell nicht weiter nach vorne gekommen ist, ist die Tatsache, dass er bei seinen größten Erfolgen zweimal Pech gehabt hat: 1995 in Japan ist er Samstagsmorgen deutscher Zeit Reckweltmeister geworden. Das wurde zwar live im Fernsehen gezeigt, aber im DSF. Das haben damals 110.000 Leute gesehen – das reicht nicht für ein Gemeinschaftserlebnis. Ein Jahr später wurde er dann in Atlanta Olympiasieger, aber nach deutscher Zeit nachts um halb vier. Wer kuckt da schon? Militante Turner, Verwandte und Zahnkranke.

Davon hängt Vermarktbarkeit ab?

Ja, bei Wecker war das das Problem. Wenn er das Glück gehabt hätte, seine Medaille zur Primetime erturnen zu können, würde er heute besser dastehen.

Wie groß ist derzeit der Wille deutscher Firmen, ihr Geld in Sportler zu investieren?

Firmenchefs haben eine Aufgabe: Sie müssen dafür sorgen, dass die Firma funktioniert. Deshalb werden sie auch nicht den Sportler unterstützen, der es gerade am meisten verdient, sondern den, der am meisten in das Konzept der Firma passt. Und zwar nehmen sie ihn nicht, um den Sport oder den Sportler zu fördern, sondern um sich selbst zu fördern.

Nils Schumann sollen Sie geraten haben, auf seinen geplanten Urlaub in Australien zu verzichten, um möglichst bald schon bei „Wetten dass?“ neben Thomas Gottschalk auf dem Sofa sitzen zu können. Werden dort Werbeverträge ausgehandelt?

Das nicht. Aber nehmen Sie doch zum Beispiel Sport im Dritten am Sonntagabend. Ich glaube, man muss als Sportler 40- oder 50-mal da hingehen, um das gleiche Publikum zu erreichen, das ich mit einem Mal „Wetten dass?“ erreiche.

Wie lange hat einer wie Nils Schumann Zeit, sein Gold zu Geld zu machen?

Nils ist in der glücklichen Lage, sich ein paar Dinge sogar aussuchen zu können. Und er kann sich da durchaus Zeit lassen – wenn er insgesamt für die Deutschen sichtbar bleibt. Wenn Nils Schumann es schafft, dass die Leute weiterhin Interesse an ihm zeigen, kommt es nun wirklich nicht darauf an, ob er einen Werbevertrag im November oder erst im März unterzeichnet.