Der die Schuld nimmt

„Die richtige Finanzpolitik ist eben nichts für trockene Rechner“

aus Berlin MATTHIAS URBACH

Er ist der „Überflieger des Kabinetts“. Ein populärer Minister in einem unpopulären Amt. Doch das reicht Hans Eichel nicht. Der Mann, dem man einst den Charme einer Büroklammer nachsagte, will nicht bloß der Sparminister sein, sondern auch Visionär. Also suchte er sich einen historischen Ort, um in seiner Grundsatzrede „Finanzpolitik für das nächste Jahrzehnt“ wieder als ganzer Politiker dazustehen.

Eichel hielt gestern als zweiter Minister in diesem Jahr nach Joschka Fischer eine Rede an der Berliner Humboldt-Universität. Dort war man erfreut über den hohen Besuch, auch wenn mancher Wirtschaftswissenschaftler mehr finanzpolitische Visionen und Zahlen erwartet hatte.

Stattdessen erlebte das Auditorium ein umfassendes politisches Bekenntnis Eichels, das wie eine Regierungserklärung daherkam. Der sozialdemokratische Finanzminister bemühte sich dabei immer wieder, den Zusammenhang zwischen sozialer Gerechtigkeit, Wirtschaftswachstum und Finanzpolitik darzustellen. So sei Solidarität nicht nur „eine Tugend, sondern auch Grundlage ökonomischer Vorteile“. Ohne eine „stabile Gesellschaft“ könne man keine „stabile Wirtschaftsentwicklung erwarten“. Auch die Chancengleichheit sei zwar ein wesentliches Recht des Einzelnen, das der Staat schützen müsse. Aber „es wird uns in Mark und Pfennig gemessen schlechter gehen, wenn wir es nicht den Einzelnen ermöglichen, ihr Potenzial zu entfalten“.

Mit solchen Konstruktionen bewegte sich Eichel lässig quer durch die gesamte Politik, forderte, die Frauen nicht vor „die Wahl zwischen Familie und Beruf zu stellen“. Kinderbetreuungen seien „keine Sozialleistung, sondern volkswirtschaftlich sinnvolle Investition“ – die es im Übrigen immer noch zu wenig gebe.

Auch werde die Rentendebatte „noch vorsichtig“ geführt: Man müsse darüber nachdenken, die Lebensarbeitszeit wieder zu verlängern, auch durch die Ausschöpfung des gesetzlichen Rentenalters. So liege das gesetzliche Rentenalter der Männer bei 65 Jahren, tatsächlich gingen sie im Schnitt aber schon viel früher in den Ruhestand. „Sechzigjährige gehören noch lange nicht zum alten Eisen!“ Auch die Ökosteuer pries Eichel erneut ausgiebig. So entwickelte er sein etwas überladenes Modell von der „Nachhaltigen Finanzpolitik“.

Für Eichel selbst, der sich nach wie vor als linker Sozialdemokrat versteht, mag das kein großer Wandel sein. Für den Minister Eichel ist das der Versuch einer deutlichen Imagekorrektur. Hatte er sich doch – gewarnt durch den politischen Schiffbruch seines Vorgängers Oskar Lafontaine – eher mit dem Appell an die deutsche Kleinsparer-Mentalität in seinem Amt durchgesetzt als mit politischen Parolen.

Bezeichnend sind dabei nicht nur die Sätze, die Eichel sagt, sondern auch die, die er weglässt. In seinem Redemanuskript etwa fand sich auch der Satz „Nur wer eisern spart, kann sich auch mal was leisten“. Ein Ausspruch, den er vor dem Auditorium in der Humboldt-Universität dann doch lieber überspringt. Die richtige Finanzpolitik, dozierte Eichel stattdessen, sei „eben nichts für trockene Rechner“.

Eichels neuer Auftritt gilt nicht nur der Öffentlichkeit, er erfüllt auch eine Funktion nach innen. Kommenden Mittwoch wird die neue offizielle Steuerschätzung Mehreinnahmen in Milliardenhöhe verkünden. Einige Politiker in der Koalition sind nicht davon überzeugt, dass weiter im bisherigen Tempo gespart werden muss. Eichel gilt so manchem bloß noch als Sparer aus Prinzip. Um seine Genossen zu überzeugen erfindet er auch schon mal so alberne Begriffe wie die „Bruttoinlandszufriedenheit“, die ihm, so führte er gestern aus, wichtiger sei als das „Bruttoinlandsprodukt“.

Eichel weiß, dass sein Sparpaket nur der Anfang war. Die nächste Sparrunde werde „schon schwieriger“. Bis 2006 möchte Eichel das Haushaltsdefizit abgebaut haben – das war zuletzt 1970, vor der Ölkrise, der Fall. Ab 2007 soll ein Überschuss in Höhe von 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) erwirtschaftet werden, um damit die Schulden abzubauen. Alles, was darüber hinaus erwirtschaft werde, will Eichel zu zwei Dritteln in Investitionen und zu einem Drittel in Steuersenkungen stecken.

Und dann kam Eichel doch noch mit einer kleinen finanzpolitischen Vision heraus: Wenn alles gut laufe, könne so die Staatsquote, also die Höhe der Staatsausgaben gemessen am BIP, von heute 48 Prozent bis zum Jahr 2012 auf 40 Prozent sinken.

Eine Quote, die nach den Worten vom Haushaltsexperten Dieter Vesper vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) „natürlich heroisch und kaum vorstellbar“ ist. Und auch „nicht wünschenswert“. Ein solcher Kraftakt, wie ihn Eichel in seiner Finanzpolitik anstrebe, riskiere, dass zuwenig in die Infrastruktur und in Forschung und Bildung investiert werde. Viele in der SPD würden das ähnlich sehen – und vor allem um die Sozialleistungen fürchten. Eichel legte sich an dieser Stelle deshalb lieber nicht fest. Die Staatsquote, versicherte er, sage natürlich nichts über „die Stärke im internationalen Wettbewerb aus“. Sie sei deshalb auch nicht explizites Ziel seiner Politik. Das hätte auch gerade noch gefehlt: dass der Finanzminister sein neues Image gleich wieder durch solche Festlegungen gefährdet.