Das Delta der Gasfackeln

Früher sprudelten hier die Erdölquellen, heute lecken die Pipelines

„Wir werden es nicht akzeptieren, dass die Ölkonzerne den Menschen im Delta irgendwann nur die verseuchte Umwelt hinterlassen.“

aus dem OgonilandTHOMAS MÖSCH

Es zischt leise, feiner Sprühnebel tritt aus einem kleinen Loch an der Seite des knapp mannshohen Bohrkopfes. Die Erdölpumpe am Rande des Dorfes Kpor steht in einer schwarzen Lache, die schon längst die etwa 50 Meter entfernte Mauer am Ende der abschüssigen Wiese erreicht hat. Das Leck gebe es schon seit ein paar Monaten, erzählt ein Dorfbewohner. Die Nachbarn hätten es den Behörden gemeldet, aber bisher sei nichts geschehen.

Kpor liegt im Ogoniland im Osten des Niger-Deltas. Gut drei Jahrzehnte hat der Shell-Konzern hier Öl gefördert, bevor er das Gebiet 1993 verlassen musste. Unter Führung des Schriftstellers Ken Saro-Wiwa zwang ihn das nur 500.000 Menschen zählende Volk der Ogoni mit seinen Protesten zum Abzug. Ein Ende der Umweltschäden bedeutete das nicht. Heute rotten die Shell-Anlagen im Ogoniland vor sich hin.

Etwa die bei Ejama-Ebubu, wo 1970 eine Shell-Pipeline in die Luft flog. Die Pipeline wurde repariert, doch das Gelände liegt heute noch unter einer dicken Kruste aus verbranntem Öl. „Bei jedem Regenguss fließt wieder etwas Öl in die angrenzenden Bäche“, sagt Bari ara Kpalap von der Bewegung für das Überleben des Ogoni-Volkes (Mosop).

Bei Shell heißt es, man habe nichts mit der Verseuchung zu tun. Im Bürgerkrieg sei es zu der Explosion gekommen. Der war allerdings schon im Januar 1970 zu Ende. Kaum vorstellbar, dass es hier zu jenem Zeitpunkt noch Kämpfe gab. Ein nigerianisches Gericht verurteilte den Konzern im Juni nach jahrelangem Rechtsstreit zu 40 Millionen Dollar Schadensersatz. Shell hat Berufung eingelegt.

Nun soll eine Art Waschmaschine den verseuchten Boden reinigen. Die schwarze Masse wird in einen Trichter gefüllt, hinten kommen hellbraune Krümel heraus. Ein Versuch, den das Umweltministerium Nigerias angeordnet hat. „Erde kann man das nicht nennen“, meint einer der beiden Männer, die die Maschine bedienen. „Die Erde nimmt überhaupt kein Wasser an.“ Tatsächlich bleibt das kleine Häufchen gewaschener Erde knochentrocken, während der Boden drum herum tropisch feucht ist.

Jahrzehntelange Ölförderung im Niger-Delta hat Umweltschäden und rund 2.000 von den Militärs ermorderte Männer, Frauen und Kinder hinterlassen. Ähnlich vergeblich wie der Versuch, öldurchtränkte Erde zu waschen, mutet an, die wirtschaftlichen und politischen Altlasten im Ogoniland zu beseitigen. Fünf Jahre nach dem vom damaligen Diktator Sani Abacha befohlenen Mord an Ken Saro-Wiwa leben die Ogonis immer noch in Armut.

Das Dorf Korokoro. Lehmhäuser mit Schilf- oder Wellblechdächern. Kleine Kinder mit aufgeblähten Bäuchen auf staubigen Wegen. Autos sind nur vereinzelt zu sehen. Die Stromleitungen enden im Nichts, sie standen noch nie unter Spannung.

„Sie kamen nachts um zwei, haben Häuser geplündert und eine Frau vergewaltigt, zwei Leute werden immer noch vermisst“ – so beschreibt Anthony Ndike einen Polizeieinsatz am 8. August in Korokoro. Ndike ist Mitglied der Mosop. Auch Wochen nach dem Polizeieinsatz traut er sich noch nicht, in seinem Haus die Nacht zu verbringen: „Ich und einige andere gehen zum Schlafen in den Busch. Wer weiß, wann die wiederkommen.“ „Die“ sind die Polizisten der Zivilregierung.

In dem Ort K. Dere zeigt Mosop-Sprecher Kpalap auf ein zweistöckiges Wohnhaus, genauer: dessen Ruine. Es ist das Haus des Mosop-Vorsitzenden Ledum Mitee. „Das war die Polizei“, sagt Kpalap. In der Nähe sind noch mehrere andere bis auf die Grundmauern niedergebrannte Gebäude zu sehen. Hier wie in Korokoro heißt es, „Shell ist schuld“ an dem Polizeieinsatz.

Die Frage, ob der Shell-Konzern im Ogoniland wieder Öl fördern darf, sorgt für Konflikte im Delta. „Die Jugendlichen von Korokoro“ forderten den Konzern schriftlich auf, zurückzukommen und an der Entwicklung des Ortes mitzuwirken. In K. Dere hatte ein Unternehmen im Auftrag von Shell begonnen, eine Straße zu bauen. Dagegen protestierten Mosop-Anhänger.

Gerangel um die Führung bei Mosop haben dazu geführt, dass die einst schlagkräftigste Organisation des Niger-Deltas kaum noch Einfluss außerhalb des nur tausend Quadratkilometer großen Ogonilandes hat. Im übrigen Delta, ungefähr so groß wie Bayern, brennen sie daher immer noch, die „Flammen der Hölle“, wie Ken Saro-Wiwa die Fackeln nannte, mit denen die Konzerne das mit dem Erdöl geförderte Erdgas abbrennen.

Nur eine Autostunde westlich von Port Harcourt, der größten Stadt des Deltas. Ein überdimensionaler Bunsenbrenner verbreitet lautes Rauschen und beißende Abgase. Noch in 100 Meter Entfernung ist die Hitze auf der Straße selbst durch die geschlossenen Autofenster zu spüren. Das erste Haus des Dorfes Oshie steht nur wenige Meter weiter. Niemand will mit der Presse sprechen. „Wir wissen ja nicht, was Sie nachher in Europa über uns erzählen“, sagt ein Dorfbewohner. Die Pumpstation im Ort gehört dem italienischen Konzern Agip.

„Das ist eines der schlimmsten Unternehmen“, schimpft Rechtsanwalt Oronto Douglas. „Agip arbeitet immer noch eng mit Militär und Polizei zusammen und hat in den letzten Jahren mehrere Menschen umbringen lassen.“

Douglas ist einer der Führer des radikalen Widerstands gegen die Ölindustrie. Wie viele seiner Mitstreiter gehört er zu den Ijaws, dem mit 12 Millionen Menschen größten Volk im Delta. Ihre Gegner sind Shell, der größte Ölförderer in Nigeria, Agip und die amerikanische Chevron. Agip hat jetzt der nigerianischen Regierung versprochen, die Gasfackeln auf dem Festland bis Mitte nächsten Jahres abzustellen.

„Bis 2004 soll das Abfackeln ganz aufhören“, erklärt Imeh Okopido, Staatsminister im Umweltministerium in Nigerias neuer Hauptstadt Abuja. „Agip hat angeboten, auch das Gas anderer Unternehmen abzunehmen und in seine Lagerstätten zurückzupumpen.“ Okopido ist zuversichtlich, dass auch Shell dieses Angebot wahrnehmen wird, obwohl der britisch-niederländische Konzern bisher betont, mit dem Abfackeln erst 2008 aufzuhören. Das genügt Oronto Douglas nicht. „Wenn die Konzerne nicht bereit sind, die Menschen im Delta an den Gewinnen aus der Ölproduktion zu beteiligen, sollen sie gehen. Wir werden es nicht akzeptieren, dass sie uns irgendwann nur die verseuchte Umwelt hinterlassen.“

Die Gouverneure der sechs Niger-Delta-Staaten fordern inzwischen die Kontrolle über die Öl- und Gasvorkommen. Präsident und Ex-General Obasanjo scheint dagegen eher auf Durchgreifen zu setzen. Er kündigte eine neue Militär-Division an, die – mit Hilfe amerikanischer Ausbilder – die Sabotage an Ölfördereinrichtungen bekämpfen soll.