„Unmöglich, anständig aufständig zu sein“

Mehr als tausend Antifaschisten demonstrieren in Berlin-Moabit gegen die „Heuchelei der Anständigen“ vor dem Brandenburger Tor

BERLIN taz ■ Der Dieselgenerator brummt – ein Scheinwerfer strahlt das Mahnmal an: In einem meterhohen Waggon aus Stahl kauern marmorne Menschen, Sinnbild der Judendeportation. Die Klezmer-Sängerin Michaele Schöne singt ein jiddisches Lied. Mehr als tausend Menschen haben sich gestern Abend zur traditionellen Gedenkkundgebung an der ehemaligen Synagoge in der Levetzowstraße in Berlin Moabit zusammengefunden.

Der Aufzug der Antifaschisten – er fand gestern abseits der großen Anständigkeitskundgebung am Brandenburger Tor unter dem Motto „Kein Vergeben, kein Vergessen“ statt – zogen über tausend Menschen durch den Westberliner Stadtteil. Seit der Wiedervereinigung gedenken jährlich anlässlich des Jahrestages der Pogromnacht hunderte Antifas der deportierten Juden. Gestern waren es deutlich mehr als sonst. Die Demo-Route orientiert sich an dem Weg, auf dem die Juden vom Sammellager in der Synagoge zum Güterbahnhof an der Putlitzbrücke zur Deportation nach Auschwitz getrieben wurden.

Die Demonstration grenzte sich deutlich von der zeitgleich stattfindenden Massenveranstaltung ab. „Pogrome verhindern, Rassismus tötet“ steht auf dem Leittransparent. Die Demo-Organisatoren kritisierten den „Aufstand der Anständigen“ scharf. Die Teilnahme von Politikern, die einer deutschen Leitkultur das Wort redeten, sei äußerst fragwürdig, betonte eine Rednerin. Jahrelang sei der wachsende Rassismus in der deutschen Bevölkertung verharmlost worden. Die jetzigen Forderungen der Politiker seien nur autoritäre Konzepte. Mehr Polizei, mehr Überwachung, Verbote. Gleichzeitig werde eine selektive Einwanderungspolitik vorbereitet. Per Green Card und Einwanderungsgesetz würden nur Ausländer ins Land gelassen, die Deutschland nützten. Alle anderen würden wie eh und je an der Grenze abgefangen – von „Grenzschützern mit Anti-Rassismus-Training.“

Eine weitere Rednerin sprach von „der Unmöglichkeit, anständig aufständig zu sein“. Dass „Joschka Fischer im Kosovokonflikt den ersten deutschen Kriegseinsatz nach 1945 mit Auschwitz legitimert“ habe, sei „unverfroren“. Damit werde Auschwitz in ein „ewiges Kontinuum der Schlächtereien“ eingeordnet und relativiert. RICHARD ROTHER