Minimal Music, maximale Wirkung

■ Die dänische Gruppe Hotel Pro Forma mit „Operation: Orfeo“ auf Kampnagel

Möchten Sie sich im Theater überwältigen lassen? Dann gehen Sie Samstagabend zu Kampnagel. Da laufen einem doch tatsächlich Schauer über den Rücken, und Tränen treten in die Augen. Weil dort ein Gesamtkunstwerk aus betörender Lichtführung, präzisen Bewegungsmustern und meditativer Musik zu erleben ist. Und weil der Zuschauer nicht nur zusehen und zuhören kann, sondern weil er hineingezogen wird ins Schattenreich zwischen Leben und Tod und sich, ganz zum Schluss, so fühlen kann, als wäre er wieder auf dem Meeresgrund angekommen.

Hotel Pro Forma heißen die Macher dieses Theaterwunders, Operation: Orfeo nennen sie ihr Stück. Das klingt beides reichlich akademisch, doch auch ohne Hintergrundwissen über die dänische Künstlergruppe und ohne Kenntnis des Orpheus-Mythos kann man den Abend einfach genießen. Hier wird keine Geschichte erzählt, sondern eine Gefühlswelt entworfen. Der Mythos von Orpheus, der zu seiner Frau Eurydike ins Totenreich hinabsteigt wird auf den Kern reduziert: auf die Pole Leben und Tod, oder, esoterisch formuliert: Geburt und Wiedergeburt.

Man kann sich den schmeichelnd-sakralen Klängen von John Cages Minimal Music und Bo Holtens moderner Renaissance-Chormusik hingeben und davonschweben in einen zeitlosen Raum. Dabei trotzdem einen Raum wahrnehmen, nämlich einen viereckigen Kasten mit hellen Umrissen und einer Treppe darin, der wie ein gerahmtes Dia aussieht, in dem sich die Bilder nur im Schneckentempo verändern. Man kann die minimalen Bewegungen der in Kutten gehüllten Sänger verfolgen, die auf den steilen Stufen mal sitzen, mal liegen, mal stehen, mal in Schräglage einfrieren. Man kann den Wechsel des Lichts spüren, das die Chorsänger, die zwei Solistinnen und eine Tänzerin ins zweidimensionale Schattenreich taucht, sie in gleißende Helligkeit mit scharfen Kontrasten hebt und im Nebel verschwinden lässt.

Zum Schluss die Welle. Erst schlängelt sie sich als schmales Lichtband zwischen Dirigentenpult und Guckkasten auf dem Boden, dann verbreitert sie sich zu einem wogenden Kegel und fließt in den Kasten hinein, überflutet ihn, schwappt hin und her und höher und noch höher, bis sie über dem Zuschauerraum zusammenschlägt. Und dann ist sie über einem und es herrscht nur noch Ruhe. So möchte man sterben. Karin Liebe

Kampnagel, nur noch 11. November, 20 Uhr, k6, 20 Uhr, um 19 Uhr Einführung der Regisseurin