Sanierungserfolge? „Ernüchternd.“

■ SPD-Politiker diskutieren „crossover“ mit Wissenschaftlern, Grünen und PDS-Mitgliedern über ein Umsteuern der Sanierungspolitik / Käse: „Nur ein Forum für die politische Linke“

Deutlicher kann man es nicht sagen: „Bremen braucht neue Weichenstellungen“, und: „Für einen Kurswechsel in der Sanierungspolitik.“ Dies ist die Überschrift eines Diskussionspapiers, das gestern eine Gruppe quer durch verschiedene politische Parteizugehörigkeiten vorgestellt hat: „Crossover“ soll diskutiert werden, über bestehende Gräben hinweg. Aus der SPD haben diverse Abgeordnete unterschrieben, immerhin gehört das Mitglied im Fraktionsvorstand, Mario Käse, zu den Initiatoren. Aus der PDS haben die SpitzenkandidatInnen Klaus-Rainer Rupp und Marina Stahmann unterschrieben, aus Gewerkschaftskreisen Repräsentanten der GEW, der HBV und der ÖTV. Und die Vorstände der Bremer Grünen. Mit dabei sind politisch engagierte Wissenschaftler die Prof. Rudolf Hickel oder der frühere Leiter des „Bremer Ausschuss für Wirtschaftsforschung“ (BAW) und heutige Hochschullehrer Prof. Wolfram Elsner. Unter den Unterzeichnern auch Klaas Holtermann, Juso-Schülervertreter und der Sohn desjenigen Abteilungsleiters aus dem Rathaus, der als rechte Hand von Henning Scherf dessen Wirtschaftspolitik macht.

Durch ein schnelles Verdikt des SPD-Fraktionsvorsitzenden Jens Böhrnsen, die Initiative sei „naiv, falsch und indiskutabel“, lässt sich dieses politische Diskussionsbündnis also nicht vom Tisch wischen. „Ich kommentiere das nicht“, meint Mario Käse trocken zu der Bemerkung seines Fraktionsvorsitzenden. Im Übrigen habe man die Analyse „so kritisch nicht gemeint“, es gehe nicht gegen die derzeitige Politik, sondern um die Zukunft – 2003 seien wieder Wahlen.

Und das ist es, was die Unterschriftenliste unter das Papier fast interessanter macht als seinen Inhalt: In dieser Crossover-Diskussion geht es um eine politische Alternative zur derzeit regierenden großen Koalition. Jedenfalls inhaltlich.

Ausgangspunkt ist die Bilanz der Sanierungspolitik: „ernüchternd“. Die „selbst gesteckten Ziele“ seien nicht erreicht, es sei „Zeit für eine nüchterne Bilanz“. Man stehe nicht vor dem Erfolg des Sanierungsprozesses, sondern „vor dem Ende eines Strohfeuers“ (Elsner).

Was tun? Die „Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen“ müsse wieder Vorrang vor der Subventionierung von Großprojekten aus dem Bereich des Tourismus und der Freizeitwirtschaft bekommen, fordert das „Crossover“-Positionspapier in enger Anlehnung an den Leitantrag zum SPD-Parteitag. „Verstärkt Investitinen in das soziale Kapital“ seien erforderlich. Die „demokratische Einflussnahme auf kommunale Schlüsselbereiche“ dürfe durch Privatisierung nicht weiter zurückgedrängt werden. Beim Sparen müsse auf die „soziale Verträglichkeit“ geachtet werden. Ein Skandal sei es, wenn 55 Millionen Mark bei den Ärmsten der Armen gespart würden, nämlich bei den Sozialhilfe-Ausgaben. Das sei kein Sanierungserfolg, sondern bezeichne die Schieflage, wenn gleichzeitig in der Sparte „Kirmes“ Unternehmer mit Millionensummen subventioniert würden, die keinerlei Unternehmerrisiko tragen müssten. Es müsse Schluss sein mit dem Dogma: „Alles was der Staat macht, ist schlecht“. Die derzeitige Umverteilung von Vermögen und Macht „hält die Stadtgesellschaft auf Dauer nicht aus“, sagt Elsner. Von Elsner stammt auch die umstrittene These, dass die derzeitige Wirtschaftspolitik zu einer „Umverteilung von Reichtum von oben nach unten“ geführt habe. Elsners Begründung: „Da Sozialprodukt steigt, die Lohnsumme sinkt.“

Detlev Albers, der SPD-Landesvorsitzende, der die große Koalition nie als Dauer-Lösung betrachtet hat, will das Papier dennoch nicht unterschreiben. Bremens Sanierung erfordere auch Einspar-Schnitte und Reform der Öffentlichen Verwaltung, sagt er, in dem Crossover-Papier fehle dieser Bezug zur Realität. Wolfgang Grotheer, SPD-Stadtbezirksvorsitzender, bemängelt ebenso, dass den Autoren „jegliche Phantasie“ fehle, wie erforderliche Investitionen im sozialen, kulturellen und Bildungsbereich „angesichts knapper Kassen bezaht“ werden könnten. Da sei die SPD weiter.

In der SPD geht es bei dem Streit um „Crossover“ natürlich auch um die kommenden Bürgerschaftswahlen. Henning Scherf hat nur dank geringer Wahlbeteiligung gesiegt. Er hatte 60.000 Stimmen weniger in Bremen bekommen als Gerhard Schröder, wird hinter vorgehaltener Hand vorgerechnet. Da sind viele SPD-Wähler, die zu Hause geblieben sind. Das Koketttieren mit den Crossover-Partnern soll Stimmen zurückholen, die von der großen Koalition abgeschreckt wurden, sagen die einen. Ungezügelte Koketterie, befürchten offenbar die anderen, kann mehr WählerInnen abschrecken... K.W.