Stoppt die Herbergsväter!

Auch das noch! Die gute alte Jugendherberge soll zum Hort des Fun-Events werden

Wo sonst können junge Menschen in eine authentische Welt der Fünfzigerjahre eintauchen?

Jugendherbergen sollten unter Denkmalschutz gestellt werden. Wo sonst können junge Menschen in eine authentische Welt der Fünfzigerjahre eintauchen? Oder die Achtzigerjahre der seligen DDR nacherleben? Wo sonst können sie diese Welt sogar riechen und schmecken: Sagrotan auf Linoleumfußböden, chlorhaltige Toilettensteine, Mottenpulver und Bohnerwachs, Pumpernickelbrot von korkartiger Konsistenz, lauwarmes Wasser mit Minzteebeutel, stundenlang gekochte Nudeln mit Rindsgulasch aus der Konservenbüchse. Apropos Bundeswehr-Büchsenfleisch, wo gibt es das eigentlich noch zu kaufen? Und wie kommt der Schuhsohlengeschmack ins Fleisch?

Junge Menschen lernen nur zu würdigen, wie cool wir Erwachsenen draußen sind, wenn der Herbergsvater ihnen wegen Rauchens auf dem Klo, Hinüberschleichens auf den Mädchen- bzw. Jungensflur oder Überschreitung des Zapfenstreiches Hausverbot erteilt. Das steigert den pädagogischen Wert eines Wochenendes in der Jugendherberge. Nach nur drei Tagen in der deutschen Herberge ist es für die nächsten Monate vorbei mit dem Genörgel über das häusliche Essen oder über die Spießigkeit der Alten wegen Porno-, Crack- oder Big-Brother-Verbots. Jugendherbergen sind also nicht nur ein Stück deutsche Identität, sondern auch ein Segen für uns Schutzbefehlshaber.

Und nun kommen ein paar im Gesülze über Dienstleistungsgesellschaft und Marketingstrategien gebadete Herbergsleiter daher und wollen der guten alten Jugendherberge den Garaus machen. Am vergangenen Wochenende haben sie sich in Münster getroffen, um ihren Häusern ein neues Image zu verpassen. Die „Hausordnung ... entrümpeln“ heißt es dort, von „entstauben“ ist die Rede, „Service wird groß geschrieben“ und eine „Strategie der Kundenorientierung“ soll verfolgt werden. Strategie gut, aber Kundenorientierung? Service? Doch es kommt noch dicker: Einen „erlebnisreichen Aufenthalt“ wünscht man. Die deutsche Jugendherberge als neuer Hort des Fun-Events? Sind wir hier im Club Med, Herr Wirthensohn (das ist der mehr als sprechende Name des Chefs der Herbergsväter)?

Sind die Herbergsväter von allen strammen Geistern verlassen? Herr Stoiber, Herr Merz, Frau Merkel: Greifen Sie ein. Jugendherbergen und Spaß, das passt doch zusammen wie Merkel und Sexappeal oder wie Stoiber und Liberalität, das geht doch nicht. Machen Sie dem Spuk ein Ende, stoppen Sie die Revolte der wild gewordenen Herbergsleiter, retten Sie einen der letzten Zipfel deutscher Lei ... – zum Beispiel mit diesem Eckwertepapier für Herbergseltern, das ich Ihrer Partei schenke:

1. Bewohner sind keine Kunden, sondern Bittsteller (bei Ankunft), Insassen (bei Aufenthalt) und Luft (bei Abreise).

2. Der herrschende Ton ist herablassend und barsch.

3. Teebeutel sind mindestens eine Woche lang zu verwenden. Eine Kanne darf nie mehr als einen Teebeutel enthalten.

4. Jugendliche gelten grundsätzlich als unzüchtig, uneinsichtig und drogensüchtig, bis sie das Gegenteil beweisen. Was als Beweis gilt, bestimmt der Herbergsvater.

5. Brot ist in trübes Wasser einzuweichen und dann vier Tage im Heizungskeller zu lagern, ehe es aufgetischt wird.

6. Rauchen, Singen, das Verzehren mitgebrachter Speisen, Tanzen, Denken an Vertreter des anderen Geschlechts, Denken an Vertreter des eigenen Geschlechts und nach 22 Uhr Denken überhaupt sind strengstens untersagt.

7. Wünsche der Insassen, nach Extrazucker etwa, sind auf den Knien vorzubringen.

Nix zu danken, Herr Stoiber, Frau Merkel, ist ja fürn guten Zweck. JOACHIM FRISCH