press-hieb
: Der Pazifik errötet, wenn Tua und Lewis heute boxen

Vier Länder inside

Wenn sich Sportler aus zwei Nationen messen, insbesondere beim archaischen Gehaue Kerl gegen Kerl, sind vaterländische Gefühle nie weit – ob künstlich herbeigeredet, medial gepowert oder auch mal authentisch. Kommende Nacht werden in Las Vegas der englische Titelverteidiger Lennox Lewis und der Samoaner David Tua die Fäuste um den IBF-Schwergewichtstitel fliegen lassen. Aber da kommt noch etwas hinzu. Eine dritte Nation.

Tua ist 1972 auf dem winzigen samoanischen Südseeinselchen Faleatiu geboren. Bald zog er mit seinen Eltern ins neuseeländische Auckland. Nun haben ihn beide Staaten partnerschaftlich ins Herz geschlossen und sich in euphorische Aufruhr begeben. Im sportverrückten Kiwiland, heißt es, könnte zurzeit ein schwer Körperbehinderter Weltrekord über 100 Meter laufen oder ein All Black beim Haka tot umfallen – keiner würde es merken. Weil keiner hinguckt.

Und weil so gut wie alle Sportreporter in Las Vegas sind und täglich, stündlich von ihrer nur 1,78 Meter großen Muskelkugel vorberichten. Jede noch so seriöse Nachrichtensendung beginnt mit Features vom Sparringsring. Tuaman haben sie ihn getauft. Our Samoan Kiwi Tuaman.

Nicht dass die Samoaner deshalb neidisch wären. Eher im Gegenteil: Das Land im Herzen der Südsee, wo sich die Menschen sonst langsamer bewegen, als jede Kokosnuss reift, ist der Raserei verfallen. Tuamania: Alle laufen in roten Lavalavas herum, jenen Wickelröcken, wie sie auch David trägt, setzen sich geflochtene Blätterkronen auf und schmücken sich mit der Ulafala, jenen roten hölzernen Halsketten, wie sie sonst nur ihre Häuptlinge, die Matais, tragen, aber eben auch ihr Idol David, der Box-Matai.

Der Ulafala-Preis stieg von sonst einem auf 30 Dollar. Gefärbt wird das Holz traditionellerweise mit den Samen des Pandanuss-Baumes. Jetzt sind die Bäume geplündert, landesweit. „Bedrohte Flora in Samoa“ titelte schon eine Zeitung. „Es gibt hier wohl keinen Pandanuss-Baum mehr mit Samen“, sagt Neuseelands High Commissioner in Samoa. Auch er trägt derzeit Ulafala zum Anzug.

170.000 Samonaer werden, kaum dass der erste Gong ertönt, „auf einen Schlag zum Stillstand kommen“, wie eine neuseeländische Agentur jetzt schrieb. Neuseeland wird solidarisch mitstehen, manche auf den roten Socken, die die ganze Nation 1995 trug, um ihre Segelhelden zum Sieg beim Americas Cup zu pushen.

Bis zum Kampf erzählen sie sich noch von Davids Kindheit: dass Klein-Tua anfangs mit Bananenstauden punshte und Papa Tuavale später starke große Männer auf der Straße ansprach, die sich übend mit dem heranwachsenden Filius zu prügeln hatten: „Schlagt ihn, so hart ihr könnt.“

Durch Samoas Teilung bekommt die Sache noch einen politisch-kolonialen Touch. Nebenan in Amerikanisch Samoa, dem US-Protektorat, ist die Stimmung gereizt. Wegen des Fernsehskandals. Da liefen Werbeclips von US-Sendern, die zum Abo des Pay-TV locken wollten – und Tua wurde US-Gesamtmarkt-kompatibel dargestellt, als der Böse, als heulendes Tier, als grimmer böser Südseekrieger. Verunglimpfung!, heulten da die Samoaner und Samoanerinnen – in beiden Samoas. David Tua, Olympiadritter 1992 in Barcelona, lässt wissen: „Ich fühle meine Ahnen bei mir.“

Falls diese dem Außenseiter zum Titel verhelfen, könnte es durchaus zum Fight gegen Konkurrenz-Champ Wladimir Klitschko kommen. Eine ideale Kombination: In Klischko steckt bekanntlich nicht nur das Wohnsitz-annektierte Deutschland als Marketing-Heimat, sondern auch die Ukraine, wo ihm wie Bruder Witali heimatlicher Volksheldstatus zuteil wird. Tua – Klitschko wäre also der beidseitige Doppelnationenfight. Und Multikulti macht Markt: Je mehr Nationen in einem Fäustling vereint sind, desto geschmierter läuft die PR.

David Tua denkt noch weiter: „Ich habe ein ganzes Land und meine Heimatinsel auf den Schultern. Ich kämpfe für Neuseeland, für Samoa – und für alle pazifischen Inseln.“ Na bitte. Da würde Klitschko gleich noch gegen ganz Tonga boxen, gegen Tahiti, Bora Bora, Yap, Tuvalu, Kiribas ... Und bald gibt es schon mehr Länder inside als Boxverbände. BERND MÜLLENDER