Aufzeichnungen aus dem Krieg

■ Kunsthaus: Aquarelle, Zeichnungen und Notizblätter von Wols

Wie Kunstgeschichte auch jenseits theatralischer Inszenierungen ein hohes Vergnügen bereiten kann, zeigen zur Zeit nur zwei Ausstellungen auf der Hamburger Kunstmeile: Rembrandt, oder nicht? in der Kunsthalle und WOLS - Aquarelle und Zeichnungen im Kunsthaus. Letztere ermöglicht mit selten gesehenen und teilweise unbekannten Arbeiten aus dem Nachlass des Surrealisten und Informellen Alfred Otto Wolfgang Schulze ganz neue Interpretationen von einer mitten im Krieg vollzogenen Kunstwende.

Marc Johannès, der Erbe von Schulzes Ehefrau Gréty, hat Kunsthausleiter Claus Mewes den Zugang zu einem Konvolut von Originalen und unveröffentlichten Notizbüchern ermöglicht. Die bisher als träumerischer Surrealismus eingestuften Bildwelten können nun als Aufzeichnungen aus der Realität des Kriegs entschlüsselt werden.

Der gebürtige Dresdner Schulze, der seit Sommer 1932 in Frankreich lebte und sich Wols nannte, geriet nach Kriegsausbruch als unliebsamer Ausländer in das System der französischen Internierungslager. Erst 1940 entkam er durch Heirat mit der französichen Staatsbürgerin Hélène Marguerite Dabija, genannt Gréty, und konnte sich, da die Emigration nicht klappte, in Südfrankreich verbergen und ärmlich durchschlagen.

Aus der Lagerzeit in der ehemaligen Ziegelei Les Milles bei Aix-en-Provence in Südfrankreich stammen die meisten der im Kunsthaus gezeigten etwa fünfzig aquarellierten Zeichnungen. Und erstmalig gelingt es, bei genauem Studium, Personen, Orte und selbst kleinste Details der damaligen Umgebung zu identifizieren. Das hat mit historischem Abstand vom Elend bisweilen schon etwas Komisches, wenn sich beispielsweise herausstellt, dass die immer wieder auftauchenden Sportwagenentwürfe keine Träume aufgrund einer früheren Arbeit in einer Mercedeswerkstatt sind, sondern eine Formentwicklung aus den im Lager reichlich vorhandenen Flöhen.

Die Überlagerung durch konkretes Erleben führt auf den eng bearbeiteten Papieren erst zu einer surrealen Gleichzeitigkeit, dann zur Auflösung in existenzielle Logogramme und bringt schließlich die Wende zum Informel: das Blatt „Flottille Fantasque“ am Ausgang zeigt, wie nun figürliche Notate gestisch in den Raum explodieren. Doch Wols bleibt nur noch wenig Zeit: Schon 1951 ist der Fotograf und Maler an einer nicht behandelten Vergiftung durch verdorbenes Hackfleisch in Paris gestorben.

Hajo Schiff

bis 21.1.01, Kunsthaus (Klosterwall 15); Katalog im Christians Verlag mit Bildanalysen und einem Text zum französischen Lagersys-tem, Hardcover, 96 Seiten, 45 Mark.

Auch: Wols. Die Radierungen: Saal der Meisterzeichnung, Hamburger Kunsthalle, bis 28.1.01