Krankenhäuser zu Theatern

■ Medizin ohne Ende: Hans Gratzers Stück „W;t“

PatientInnen im Krankenhaus sind hilflose Wesen from outer space, denen man eine Verständigung andient, ohne dass jemand wirklich ihre Sprache spräche. Die Worte der Ärzte werden ertragen, anstatt dass sie helfen. Die Krankheit degradiert dazu, diese Worte legitim zu finden.

Der Regisseur Hans Gratzer hat die Formulierung dieser Einsichten in dem von Margaret Edson geschriebenen, im Krankenhaus-Stück W;t (sprich Wit/Geist), das am 10. November Premiere hatte, vor allem auf Antonie Boegner ausgerichtet. Sie spielt die nonchalante, manchmal übergewitzte und mit Unterleibskrebs eingelieferte Professorin Vivian Baering, die das Aufnahme-Prinzip im Krankenhaus so erklärt: „Ich bin nicht hier, weil ich Krebs habe, sondern weil ich gegen Krebs behandelt werde.“ Die Behandlung ist es also, die Diskretion erfordert, nicht die Krankheit.

Um die Diskretion zu wahren, geben sich alle, die Bearings Zimmer betreten, berufliche Mühe, fragen nach dem Befinden und verlassen gleich danach das Zimmer, in dem sie auf diese Weise „die Patienten geführt“ haben. Wenn Bearing wieder allein ist, erinnert sie sich dem Publikum zugewandt an ihren Beruf als Lyrikprofessorin und an die Frage, die der Dichter John Donne zu Beginn des 17. Jahrhunderts Gott gestellt hat: „Warum ich?“ Der Fragende richtete sich allerdings weniger an eine höhere Macht als an seine Leserschaft. Die unterhält sich mit Gott, anstatt ihm seine Wünsche mitzuteilen oder ihren Dank auszurichten und nähert sich der Aufklärung. In Bearings Gegenwart erreicht sie einen prosaischen Horizont: Sie stellt fest, „wie schmalzig“ ihr Leben geworden sei, als die Krankenschwester ihr erst ein Speiseeis anbietet und dann lutschend mit ihr abspricht, ob im Falle eines Herzstillstands eine Reanimation erfolgen soll.

Alle Leute um die Patientin herum beschäftigen sich mit dem Leben und nie mit dem, was danach kommt. Medizin ist, wenn es kein Ende geben darf. Mitleid und Trauer sind Jobs und Angelegenheiten, die herbeigeholte Verwandte auf sich nehmen und hinter sich bringen müssen. Im Krankenhaus, davon berichtet W;t, werden Menschen zu Philosophen, denen die Liebe zum Wissen nichts einbringt. Ärzte sind Leute, denen ihr Wissen nicht die Liebe der Patienten einbringt. Wenn Ärzte sich mit dem Tod beschäftigen, machen sie das offensichtlich immer noch nur innerhalb eines Werks, das ihnen seit einigen Hunderten von Jahren einen Platz in der Literaturgeschichte sichert. Und sie tun dies nach der Arbeit. Vielleicht hat Margaret Edson dieses Hinweises wegen den Pulitzer-Preis bekommen.

Kristof Schreuf

 heute und morgen; weitere Vorstellungen: 16. - 19., 21. - 25.11., jeweils 20 Uhr, Kammerspiele