One Night Stand mit Folgen

Wie ein Einweghaartönungsmittel junge Frauen in Hotline-Furien verwandelt

Ein Haarkosmetikhersteller hatte einmal eine Idee. Er warf ein Produkt auf den Markt, das den reißerischen Namen „One Night Stand“ trug. Dabei handelte es sich um einen Tönungsschaum, der in den Farben Kobaltblau, Extreme red und Grafitschwarz erhältlich war. Die Farbe sollte – so versprach der Verpackungstext – genau wie ein wirklicher One-Night-Stand für eine Nacht Spaß bringen, ungebremsten Spaß ohne Folgen oder Reue, und dann tschüss.

Doch der Name trog. Teile der „One Night Stand“-Farbe verblieben am nächsten Morgen so zäh im Haar der Konsumentinnen, wie sie das weder von der Haartönung noch von ihren Sexualpartnern wollten. Extreme red sollte im Abfluss, der Liebhaber bereits weit weit fort sein.

Was für den Leser eine nette Anekdote sein kann, gestaltet sich in der wirklichen Wirklichkeit ziemlich anstrengend, wenn man bei dem Haarkosmetikhersteller im Brot steht und von der Public-Relations-Abteilung dazu verknackt wird, die psychologische Betreuung der Opfer zu übernehmen. Auf der eigens zu diesem Zweck eingerichteten Hotline spielen sich bühnenreife Dramen ab. Da gilt es, zeternde Damen zu beschwichtigen, die mit Schmerzensgeldforderungen drohen. Greinende, zerstörte Teenager müssen wieder aufgebaut werden, weil sie sich mit einer in Worte gar nicht mehr zu fassenden Haarfarbe weder in die Schule, geschweige denn dem neuen Freund unter die Augen trauen. Flüche über „One Night Stand“ zerfleddern das weiche Ohr der unschuldigen Hotline-Telefonistin, die das Haargift weder hergestellt noch fremden Menschen aufgeschwatzt hat.

Mord- und Selbstmorddrohungen rieseln durchs Telefon: „Sie haben mein Leben zerstört, Sie Schweinin!“, kreischt eine offenkundig noch sehr junge Frau in den Hörerknochen. Alle Versuche, ihr zu erklären, dass sie das Leben noch vor sich hat, gehen fehl. Sie will am Ende sein und ist es auch, hat sich in ihren hysteriogrobianischen Schub verliebt und lässt nicht mehr locker. „Ahnen Sie, wie ich aussehe?“, jodelt sie in einem Ton, der dem dreigestrichenen Fis sehr nahe kommen muss, wenn es diesen Ton überhaupt gibt. „Wie ein Flokati! In Rotwein und Natursekt eingelegt!“ Woher wissen so junge Schnitten denn etwas über Natursekt?, frage ich mich. Es wird die Welt wohl immer wilder. Als ich versuche, sie nach der Quelle ihrer Kenntnis zu fragen, dreht sie durch. „Ich bin eine Promenadenmischung aus Kampfhund und Dackel! Ich kann nicht mehr!“ Wie gut, dass es noch kein Videophone gibt, denn sonst müsste ich das Mädchen entweder der Lüge zeihen oder aber der Wahrheit ins Antlitz schauen. Was wäre wohl unangenehmer? Mit einem dramatisch drohenden „Ich weiß, wo ihr wohnt!“ steckt und legt sie endlich auf.

Doch die Verschnaufpause ist kurz. Noch den ganzen Nachmittag wird weiter in meine zerknüllte Ohrmuschel hineingeschrien, -geweint, -gebettelt, -gegiftelt und -krakeelt, und manche Anruferin möchte aus der Kosmetik-Hotline liebend gern einen heißen Stuhl für Haartönungshersteller machen. Denn eines müssen die Haarschurken lernen: Es darf der Mensch das Land verheeren und die Welt verderben; einen Frauenkopf aber verfärbend entstellen, das tut er nicht ungestraft.

FRANZISKA BACHMANN