Alte Säcke versilbert

Die deutschen Schachspieler werden Vizeweltmeister. Weltverband Fide sagt K.o.-WM ab – aus Geldmangel

BERLIN taz ■ Vor der Schach-Olympiade in Istanbul verhöhnte ein junger russischer Journalist die deutsche Auswahl als „alte Säcke“. Sicher, sie hätten ihre Meriten verdient, aber dem Nachwuchs gebe der zweitgrößte Schachverband der Welt offenbar keine Chance. 14 Runden lang brachte derselbe Schreiberling sein Erstaunen zum Ausdruck, als die Auswahl von Uwe Bönsch von Sieg zu Sieg eilte. 3:1 über Europameister Armenien, Ungarn, Israel und die USA oder 2:2 gegen Russland lauteten die beachtlichen Resultate der „Schach-Opas“. In der letzten Runde machte man die Überraschung perfekt und schlug England mit 2,5:1,5. So lag lediglich Russland mit 38:18 Brettpunkten einen Zähler vor den Deutschen. Bronze ging an die Ukraine.

Die Vizeweltmeisterschaft ist seit 1939, als in Argentinien Gold gewonnen wurde, der größte Erfolg des Deutschen Schachbundes (DSB). Und ein erstaunlicher: Nicht nur, dass Artur Jussupow (40), Robert Hübner (52), Rustem Dautov (35) und Klaus Bischoff (39) schon über ihren Zenit hinaus schienen und Christopher Lutz (29) sowie Thomas Luther (31) die einst ihn sie gesetzten Hoffnungen nicht erfüllten. Die Halbprofis, die sich bis auf Bischoff alle durch schachliche Nebentätigkeiten ein Zubrot verdienen, liegen auch in der Weltrangliste nicht allzu weit vorn. Die ehemaligen WM-Kandidaten Robert Hübner und Artur Jussupow sind noch die Besten als 65. und 73.

Seit jedoch Uwe Bönsch Bundestrainer ist, wachsen alle Akteure über sich hinaus. In der Türkei kassierten die Schützlinge des Hallensers nur drei Niederlagen in 56 Partien. „Alle spielen unglaublich engagiert in dieser gefestigten Mannschaft“, lobt der Großmeister, der selbst zu den deutschen Top Ten zählt. „Unser Teamgeist macht den Erfolg aus“, kommentiert Artur Jussupow. Der ehemalige Russe, der mit der Sowjetunion sechsmal die Olympiade gewann, brillierte mit 8,5:3,5 Punkten.

Doppelten Grund zur Freude hatte Fide-Weltmeister Alexander Chalifman in der Türkei. Zum einen führte er Russland zu Gold, obwohl Weltmeister Wladimir Kramnik ebenso wie dessen Vorgänger Garri Kasparow und Anatoli Karpow das Olympiade-Team einmal mehr ignorierten. Zudem dürfte sich seine Regentschaft verlängern: In Istanbul verdichteten sich die Gerüchte, dass der notorisch klamme Weltverband Fide seine für Ende November angesetzte WM im K.o.-Modus in Neu-Delhi und Teheran absagen wird. Die vollmundig angekündigten acht Millionen Mark Preisgeld fehlen schlichtweg. HARTMUT METZ