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: Bohemetratsch und intimer Liebescode: die Briefe von Lotte Lenya und Kurt Weill

Post von Lotte

Wenn im zweitunwirtlichsten Monat des Jahres die Liebe in die Binsen, das Geld zur Neige gegangen und nichts geblieben ist als eine von glücklicheren Zeiten kündende elektronische Korrespondenz, da kann man, für einige Sekunden zumindest, auf den verstiegenen Gedanken verfallen, diesen Briefwechsel „E-Mail for you“-mäßig zu verscherbeln und das so verdiente Geld auf einer Reise, zum Beispiel nach Kuba, auf den Kopf zu hauen.

Nur: „Ohne Dich macht mir überhaupt nichts mehr Spaß.“ O ja. Das ist der Haken. Wie schön und schlicht man es doch formulieren kann. Und klar: Dieser Satz enstammt einem Briefwechsel zwischen liebenden Menschen, genauer gesagt, dem der Schauspielerin Lotte Lenya und des Komponisten Kurt Weill, die sich wahlweise auch mit Dideldum und Didi, Tütilein und Weillili, Blumilein und Schnubi, Trrräubchen und Froschi anzurufen und zu verabschieden pflegten. Solange also noch Kultur von einer Doppel-CD zum eigenen Herzen zu sprechen verspricht, ist nicht alles verloren. Und „Ohne Dich macht mir überhaupt nichts mehr Spaß“ gibt sich dabei große Mühe.

Mit gutem Grund. Die Geschichte der starken Femme fatale aus dem Wiener Zirkusmilieu, die in der V-Effekt-Ära, zu den Zeiten von Hakenkreuz und Federboa, dem Dreigroschenopernkomponisten begegnet, scheint reichlich abgenudelt, auch wenn das Paar immer wieder semisentimental das bessere Deutschland illustrieren, wenn nicht repräsentieren muss. In der Brecht- und Weimarer-Republik-Nostalgie kurz nach dem Mauerfall sah man auf jugendlichen Nachtschränkchen plötzlich Lenya-Biografien auftauchen, zur Teestunde wurde „Tell me the way to the next Whisky Bar“ aufgelegt, und das schöne Porträtfoto der Lenya mit schräg unterm Kinn vorbeigehaltener Zigarette zierte die Wände derer, die noch an die erotische Geste des Rauchens glaubten. Wie das allerletzte Ausschlachten solcher Nostalgie kommt es einem da vor, wenn nun der berühmte Briefwechsel der beiden auch noch in Kunststoff gebrannt gehört werden will.

Anna Hartwich hat die 393 erhaltenen Briefe so zusammengestrichen, dass die Eigenart des intimen Liebes-Codes („Tu Dein Glätzchen nicht zu sehr in die Sonne, sonst wirst Du doof! Deine Kleene“) und der deftigste Bohemetratsch (Brecht ein „chinesisch-augsburgischer Hinterwäldlerphilosoph“, Adorno, „dieses blasse, flammende Arschloch Wiesengrund“, Werfel das „widerlichste und schmierigste Literatenferkel, das mir je begegnet ist“) erhalten bleiben, sich zugleich aber die Biografien und Zeitgenossenschafts-Kommentare zu Exil, Hollywood und Hitlerdeutschland zu einer aufregenden Erzählung fügen.

Gerd Wameling liest Kurtchens Part, Helene Grass die Post von Lotte. Kommt Wameling an die Reihe, schimmert stets ein süffisantes Grinsen durch, bei jeder Pointe hüpft im Kehlkopf der Triumph. Helene Grass, die 26 Jahre jünger ist als Wameling, klingt um Jahrzehnte reifer. Eine tolle Lotte-Stimme, dunkel, warm und stolz. Dazwischen, als kleine Denk- und Gefühlspausen, singt sie Chansons und Songs von Weill, von Adam Benzwi am Klavier begleitet. Blöderweise hat wer vergessen, den Applaus rauszuschneiden.

Zwei Stunden als lauschende Dritte im Dialog der beiden, in ihrer selbst erfundenen Sprache voll boshaftem Witz, Begeisterung und Zärtlichkeit. Man könnte neidisch werden, muss aber nicht. 28 Jahre haben Weill und Lenya miteinander verbacht, allerdings zumeist im Geiste, zweimal geheiratet und sich trotz oder wegen einer Größendifferenz von 2,5 Zentimetern, einer Scheidung, oft verschiedener Wohnsitze und zahlreicher Affären in einer brutalisierten und unsicheren Zeit nie aus dem Sinn verloren.

„Ich finde, dass Dein menschliches Format sich parallel mit meinem entwickelt“, lobt Weill gönnerhaft aus dem Pariser Exil und erklärt entschuldigend zur zweiten Heirat: „Aber es ist doch eine alte jüdische Tradition, dass der Mann seiner Frau vergibt.“ Beide waren musikalische Schwerstarbeiter, die jeweils ersten Verehrer der Kunst des anderen, lebenslustige Unabhängigkeitsbedürftige. Umso rührender klingt es, wenn Weill, der sich Lenya in den Zwanzigerjahren als „Lustknabe“ anbot, noch kurz vor seinem Tode einen Brief mit „Dein ewiger Liebhaber“ unterschreibt. Solches Format ist in der Tat beeindruckend. EVA BEHRENDT

Lotte Lenya, Kurt Weill: „Ohne Dichmacht mir überhaupt nichts mehrSpaß“. Gelesen von Helene Grass undGerd Wameling. Kein & Aber Records