Verspäteter Rechtsbeistand

Bundesregierung klagt in Den Haag gegen die USA, die zwei Deutschen konsularischen Beistand in einem Mordprozess verweigerten. Beide wurden 1999 hingerichtet

BERLIN taz ■ Es war ein bisschen spät. Einen Tag bevor der deutsche Staatsbürger Walter LaGrand am 3. März 1999 im Staatsgefängnis von Arizona hingerichtet wurde, entschied sich die Bundesregierung, den Internationalen Gerichtshof in Den Haag anzurufen. Für Bruder Karl LaGrand kam dieser Beistand ohnehin zu spät: Der 35-Jährige war eine Woche zuvor getötet worden. Den Brüdern, die schuldig gesprochen worden waren, 1982 bei einem Überfall den Direktor einer Bank in Marana erstochen zu haben, war während des Prozesses, der mit ihrer Verurteilung zum Tode endete, das Recht auf konsularischen Beistand verweigert worden. Erst 1992, nach Abschluss des Verfahrens, hatte die Deutsche Botschaft überhaupt davon erfahren, dass in Arizona zwei Deutsche vor Gericht gestanden hatten.

Zwar hatte Deutschland bei Gericht in Den Haag noch eine Einstweilige Anordnung erwirkt, durch die der Hinrichtungstermin verschoben werden sollte. Darüber jedoch setzte sich die Gouverneurin von Arizona hinweg – Walter LaGrand wurde hingerichtet.

Am Verhalten der Bundesregierung war damals Kritik laut geworden. Die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses des Deutschen Bundestages, Claudia Roth (Grüne), die sich persönlich in Phoenix/Arizona für die Verurteilten eingesetzt hatte, sagte im taz-Interview, die Bundesregierung hätte viel früher alles unternehmen müssen, um das Leben der beiden Brüder zu retten, einschließlich der Klage in Den Haag.

Nach dem Tod Walter LaGrands hielt die Bundesrepublik vor Gericht ihre Klage aufrecht. Gestern nun haben in Den Haag die Anhörungen in dem Verfahren begonnen, in dem Deutschland den Gerichtshof auffordert, festzustellen, dass das Verfahren und die Hinrichtungen gegen die internationalen Verpflichtungen der USA aus der Wiener Konvention verstoßen, dass Deutschland insofern Entschädigung zusteht. Die USA sollen überdies zusichern, künftig nicht mehr das in der Wiener Konsularrechtskonvention verbriefte Recht jedes ausländischen Staatsbürgers auf konsularischen Beistand zu verletzen.

Dieser Verstoß gegen internationales Recht allerdings ist in den USA gang und gäbe. Nach Angaben von amnesty international befinden sich derzeit 88 zum Tode verurteilte ausländische Staatsbürger in den USA in Haft – und in den meisten Fällen seien weder die jeweiligen Botschaften oder Konsulate informiert, noch seien die Angeklagten über ihr Recht aufgeklärt worden, bei ihren Vertretungen Beistand zu suchen.

In der Diskussion um die Todesstrafe zeigen sich die USA in aller Regel besonders unbeeindruckt, wenn durch Proteste aus dem Ausland ein Verurteilter vor der Exekution bewahrt werden soll. In nahezu allen Fällen, in denen sich der Papst, ein überzeugter Gegner der Todesstrafe, persönlich für Verurteilte eingesetzt hatte, wurden diese hingerichtet. Erst am Freitag vergangener Woche starb in Texas der Mexikaner Miguel Angel Flores durch die Giftinjektion – auch der vom Präsidentschaftskandidaten in Wartestellung, George W. Bush, geführte Staat hatte dem Angeklagten keine Gelegenheit gegeben, sich mit seiner konsularischen Vertretung zu beraten.

Ob ein Urteilsspruch in Den Haag diesmal in den USA irgendwelche Folgen zeigt, bleibt fraglich: Die USA haben für sie ungünstige Entscheidungen des Internationalen Gerichtshofes bislang stets ignoriert, etwa im Falle der Verurteilung der Verminung nicaraguanischer Häfen 1984, als die USA unter Präsident Reagan zur Zahlung von 12 Milliarden US-Dollar Entschädigung an Nicaragua verurteilt wurden. Die US-Regierung erkannte das Urteil schlicht nie an. BERND PICKERT