Keine Zeit, um NPD-Dossier zu studieren

Die Zusammenstellung des Innenministeriums zur angeblichen Verfassungsfeindlichkeit der NPD darf von Parlamentariern nur in der Geheimschutzstelle des Bundestags eingesehen werden. Nur wenige von ihnen gehen hin

BERLIN taz ■ Frank Hofmann, SPD-Mitglied im Innenausschuss, entschuldigt sich. Er habe einfach noch keine Zeit gefunden, in die Berliner Schadowstraße zu gehen. Dort lagert jenes 560 Seiten starke Geheimdossier zur NPD, das die Verfassungsschützer von Bund und Ländern zusammengetragen haben. „Wir sind einfach zu stark belastet“, sagt der Parlamentarier.

Wie ihm geht es auch anderen Mitgliedern des Innenausschusses – manche sitzen im zeitraubenden Untersuchungsausschuss zur CDU-Spendenaffäre. Sebastian Edathy, in der SPD für Rechtsextremismus zuständig, hat das Geheimdossier „nur kurz“ in Augenschein genommen. Dafür hat er wie die meisten Abgeordneten des Innen- und des Rechtsausschusses die 74 Seiten starke Zusammmenfassung gelesen. Innenminister Otto Schily (SPD) hatte diese zunächst als vertraulich eingestuft – nach dem Verbotsantrag der Bundesregierung in der vergangenen Woche wurde sie aber auch an die Medien verteilt.

Nun wird SPD-Mann Edathy seinen Mitarbeiter in die Geheimschutzstelle des Bundestages schicken. Doch auch der kann seine Eindrücke nur indirekt – das heißt mündlich – wiedergeben. Notizen müssen an der Pforte abgegeben werden.

Der Innenminister will sich für eine Lockerung der Geheimhaltungsstufe einsetzen. So könnten Teile des Geheimdossiers freigegeben werden. Das hätte den Vorteil, dass die Abgeordneten das Material auch ins Büro mitnehmen und sich den Weg in die Geheimschutzstelle sparen könnten. Doch die Freigabe kann dauern. Die Länder, deren Verfassungsschützer das Material geliefert haben, müssen ihre Zustimmung geben.

FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle hatte sich im Innenausschuss über die bisherige Praxis beschwert. Das Material sei „zu dünn“, um einen Verbotsantrag beim Bundesverfassungsgericht zu begründen. Weil es „nichts Neues“ enthalte und ohnehin „aus allgemein zugänglichen Quellen“ stamme, könne die Geheimhaltungspflicht auch entfallen. Eine Einschätzung, die PDS-Innenpolitikerin Ulla Jelpke teilt: Das Material sei zwar in der „Sache richtig“, aber eben „nicht so geheim, dass Mitarbeiter der Ämter gefährdet wären“.

Der Bündnisgrüne Cem Özdemir hält Westerwelle vor, sich „auffallend schnell und fix“ ein Urteil gebildet zu haben. Offenbar nutze dieser den Widerstand gegen ein NPD-Verbot als „Chance zur Profilierung“. Özdemir hat – wie andere grüne Innen- und Rechtspolitiker der Fraktion – das Material bereits durchgesehen. Sein Eindruck: Ausgerechnet die Unterlagen, die aus dem CSU-regierten Bayern kämen, seien „mit am fundiertesten“. Dagegen sei das, was etwa die Verfassungsschützer aus Thüringen geliefert hätten, „schlicht ein Nichts“. Der Zusammenhang zwischen den „Angstzonen“, wie Özdemir die so genannten national befreiten Zonen der Rechtsextremisten nennt, und der NPD sei „nicht genügend herausgearbeitet“. Was ihm die Initiativen vor Ort berichteten, finde sich nicht im Material wieder. Offen ist bei SPD und Grünen gleichermaßen, ob der Bundestag einen eigenen Beschluss für ein NPD-Verbot auf den Weg bringt. Oder lediglich – wie von der Union angeregt – in einem Entschließungsantrag die Verbotsanträge von Bundesregierung und Bundesrat begrüßt. Mit unterschiedlichen Begründungen: Edathy von der SPD gibt zu bedenken, dass bei einem Beschluss „möglicherweise auch einige Grüne nicht mitgehen“. Dann wäre die Koalition gespalten. Die Regierungsfraktionen haben sich verständigt, zunächst das Votum des Innen- und Rechtsauschusses abzuwarten.

Der Grüne Cem Özdemir hält es „für hilfreich, wenn es gelänge, die Union mit ins Boot zu nehmen“. In dieser Frage dürfte sie sich im Bundestag „nicht einfach elegant verabschieden“. Nur die FDP hat sich bereits festgelegt und will weder einem Beschluss noch einem Entschließungsantrag folgen.

SEVERIN WEILAND