Embryo in Röntgenröhre

■ Pandur und Bregovic inszenieren Dante am Thalia

Sie hatten sich das ganz konkret gedacht: Der Pharao bekam Uschebtis – Diener, die für ihn die Arbeit im Jenseits verrichteten. So konkret eindringlich, wie sich die Ägypter das Jenseits vorstellten, hat auch Dante seine Göttliche Komödie gestaltet, und einprägsam wird – neben dem pyramidenartigen Bühnenbild – die für Januar 2001 anvisierte Inszenierung des slowenischen Regisseurs Tomaz Pandur und des bosnischen Komponisten Goran Bregovic am Thalia Theater sein, zu der die Proben jetzt begonnen haben.

Denn letztlich ist es egal, welches Elendsbeispiel man bemüht, um Leiden zu verdeutlichen: Wichtig ist die Übermittlung der Seelenzustände, „und zwar von einem Land aus, das den Balkan-Krieg bloß per Monitor verfolgt hat“, sagt Pandur. „Wir wollen dabei so ehrlich wie möglich sein“ – auch in der Präsentation der Bewusstseinszustände, die das Bühnenbild spiegelt: Wie in einer Krematoriums-kammer – oder ist es eine moderne Röntgenröhre? – liegt im Inferno, dem ersten Teil der Trilogie (Purgatorium und Paradiso folgen 2002 und 2003), der Mensch, und inmitten einer Fotowand, die an Holocaust-Gedenkstätten und an den osteuropäischen Brauch erinnert, Gräber mit Fotos der Verstorbenen auszustatten, wie Bühnenbildnerin Marina Hellmann erklärt. Eingekerkert in einen monumentalen Granitblock, der einer Pyramide gleicht, ist das embryoartige Menschlein, eingemauert vor der Welt, vor (und von?) sich selbst.

„Das Inferno ist in uns“, betont der derzeit als Filmemacher in New York lebende Pandur, der von 1989 bis 1996 Künstlerischer Direktor des Slowenischen Nationaltheaters in Maribor war. Auf verschiedenen Ebenen sitzen die Akteure; in den Kreis der Hölle einbezogen ist auch das Publikum, dem das Bühnenbild einen Viertelkreis zugesteht und das fast durch das grundierende Wasser – den Styx? – waten könnte. Auf- und zuschieben kann man Kulissenelemente, (Bewusstseins-) Schichten freilegen und wieder verdecken; die Verschiebbarkeit kollektiver und individueller Werte – „die gravierendste Folge des Balkan-Krieges“, so Pandur – spiegelt die Konstruktion.

Ob es Schiefer oder Granit ist, ob die schwarzen Platten Einritzungen erlauben, steht nicht dran; dafür erlaubt sich der aus der Subkultur kommende ehemalige Rockmusiker Bregovic Einritzungen in den danteschen Text: In Sarajevo beginnt das Inferno; die uralte, einsaitige Gusle dient als Begleitinstrument der auf der Bühne live erzeugten Gesänge, in die er Konkreta aus dem Balkankrieg hineingewoben hat. „Das Inferno sind wir jetzt und hier“, sagt Pandur, „und diesen Moment, in dem Vergangenheit und Gegenwart gebündelt werden, will ich zeigen“. Petra Schellen