Der Blues, der Tango, der Blues

Ab heute im 3001: Filme zur Biographie von Inge Viett  ■ Von Christiane Müller-Lobeck

Sie träumten den Traum von einer besseren Welt und sie träumen ihn noch. Das ist es, was wohlmeinende Menschen von ehemaligen Angehörigen der Bewegung 2. Juni und der RAF meinen verstanden zu haben. Diese Wohlmeinenden waren immer irgendwie solidarisch, und gerne beweisen sie am Exempel einer KämpferInnenbiographie, wie der Traum ins 21. Jahrhundert hinü-ber gerettet wurde. Es ist der Blues, mit dem alles anfing, in seiner melancholischsten Form. So versuchte Volker Schlöndorff jüngst – am Leben von Inge Viett entlang – der Vergangenheitsmusik nochmal etwas Groove einzuhauchen, was misslang, weil Schlöndorff-Bilder nunmal keinen Groove haben. Die Stille nach dem Schuss geriet statt dessen zu einer Aneinanderreihung von Klischees und Oberflächlichem. Und selbstverständlich muss die Heldin am Schluss sterben: Ein uneingelöster Traum lässt sich besser ertragen, wenn seine Aussichtslosigkeit am Schlimmsten, dem Tod sich beweist.

In Inge Viett fand diese Verkleis-terung aber auch ihr passendes Gegenstück. Viett, die der Bewegung 2. Juni angehörte, später zur RAF überwechselte und von 1982 an in der DDR lebte, strickte an diesem Mythos kräftig mit. Ihre Autobiographie Nie war ich furchtloser lieferte die Vorlage für Die Stille nach dem Schuss, am Drehbuch war sie beteiligt, und erst nach Fertigstellung des Films meinte sie sich nicht mehr wiederzuerkennen und verfügte, er dürfe nicht als Verfilmung ihres Lebens vermarktet werden. Dabei individualisiert sie wie Schlöndorff die Geschichte einer kollektiven Widerstandspraxis, geraten auch ihr die in jeder Situation politischen Fragen zu bloßen Entscheidungsmomen-ten eines idealistischen Subjekts.

Inge Viett wurde nach dem Ende der DDR unter anderem für einen Polizisten, den sie Anfang der 80er in Paris niedergeschossen hatte, von bundesdeutschen Gerichten zu 13 Jahren Haft verurteilt, bis sie die Kronzeugenregelung für sich geltend machen konnte: Sie wurde 1997 entlassen, obwohl ihre Behauptung, das MfS sei 1981 an RAF-Anschlägen beteiligt gewesen, nachweislich nicht stimmte. Ihre Autobiographie ist im Gefängnis entstanden, und sie ist der Form gründlich auf den Leim gegangen. Peter Brückner forderte, als er 1976 den kleinen Band Ulrike Meinhof und die deutschen Verhältnisse veröffentlichte, eine Dezentrierung der literarischen Form der Biographie, denn nicht aus der Privatperson heraus, sondern aus den öffentlichen Ereignissen um sie herum würden sich deren Entscheidungen und Unterlassungen erklären. Viett dagegen, indem sie mit ihrer Kindheit beginnt und in jedem einzelnen Kapitel die Wahrung ihrer persönlichen Integrität als Widerstandleistende in den Vordergrund stellt, erklärt nichts außer ihrer psychischen Befindlichkeit.

Bevor das 3001-Kino in der übernächsten Woche noch einmal Die Stille nach dem Schuss zur eingehenden Überprüfung seiner Heroisierungen aufführt, zeigt es ab heute einen Film, von dem sich Viett nicht distanzierte: die Dokumentation Große Freiheit – Kleine Freiheit der Schweizerin Kristina Konrad. Mit Vietts Leben parallel geführt wird darin das einer uruguayanischen Militanten María Barhoum, eine Begegnung der beiden etwa gleichaltrigen Frauen auf Kuba herbeigeführt, und in Schaukelstühlen sitzend bestätigen sie sich dort gegenseitig, „einige träumende Wesen“ gewesen zu sein, die an der Übermacht staatlicher Gewalt gescheitert seien. Konrad folgt den beiden an die Orte ihrer Vergangenheit, abermals von der Kindheit ausgehend. Den drögen und durch gelegentliche Schwarz-Weiß-Aufnahmen unnötig dramatisierten Bildern muss immer wieder ein Tango zu Groove verhelfen und die entscheidende melancholische Note verleihen. Und als sie schließlich auf den angeschossenen Poli-zisten zu sprechen kommt, weiß die Filmerin nichts zu fragen als: „Wie hast du dich denn danach gefühlt?“ Für die interessanteren politischen Fragen steht Inge Viett womöglich heute Abend zur Verfügung, sie wird im Kino erwartet.

Große Freiheit – Kleine Freiheit: heute, 20.30 Uhr, in Anwesenheit von Inge Viett + 16., 17. + 20. - 22.11., jeweils 18 Uhr; Die Stille nach dem Schuss: 23., 24. + 27. - 29.11., jeweils 18 Uhr, 3001