Bein, Frisur, Spaghetti & Co

■ Der „Regionalexpress“ zeigt im Museum Weserburg Bücher, Postkarten, Plakate aus Bremen und umzu voller intimer, philosophischer, irrwitziger und vor allem lustiger Sätze

Bremen neu erleben, das geht am besten da, wo einem noch keine Marketinggesellschaft zuvorkam. Zum Beispiel in der versteckten Zwischenetage des Museums Weserburg, die eine exquisite Sammlung von Künstlerbüchern beheimatet.

Unter dem kicherigen Titel „Regionalexpress“ sind dort zur Zeit Publikationen Bremer Künstler aus den letzten 40 Jahren zu sehen, also Heftchen, Bücher, Schallplatten, Postkarten und – Zeitungen. Ganz recht, Zeitungen, in Bremen gab (und gibt) es immer mal wieder ein Häufchen Unerschrockener, die mehr oder minder dicke Blattsammlungen mit einer Auflage von 100, 300 oder auch mal 1.000 Stück zum Teil für wenige Mark unters Volk streuten.

Sie hießen „schöngeist“, „Pflugblatt“, „Sphinx“ oder „pictor“. Manchen ging nach vier Ausgaben die Luft aus, andere hielten sechs Jahre durch, wenn auch nur mit zwei Ausgaben pro Jahr. Mal handelte es sich um eine mottogebundene Sammlung (zu Prädikat-wertvoll-Themen wie: das Floß der Medusa) von Kunstwerken in aufwändigen Siebdruckverfahren – eher einer Grafikmappe als einer Zeitschrift ähnelnd, mal um Textmixturen aus Wondratschek, Chotjewitz oder Franz Mon mit neckischen Zeichnungen.

Eines der Bücher darf der Besucher durchblättern, ganz eigenhändig. Es ist sehr dick und widmet sich den Hausfrau, dicken und dünnen. Irmgard Dahms, Marikke Heinz-Hoek, Edith Pundt und Isolde Look haben, ausgestattet mit soziologischem Instinkt und jeder Menge Sarkasmus, eine überbordende Materialsammlung aus Uraltanzeigen, Textfetzen und eigenen Bildbeiträgen zum Thema Bein, Frisur, Spaghetti & Co zusammengetragen. Keine Sache zum linearen Durcharbeiten von Seite 1 bis ultimo, sondern zum Hin- und Herblättern, Vergleichen, Kombinieren, Assoziieren, Ruhenlassen – eben typisch für das Künstlerbuch an sich.

Die anderen Bücher verstecken sich vor Fettfingern in Vitrinen und zeigen jeweils nur eines ihrer fünf, neun, 17, 76 Gesichter: lauter isolierte Puzzlesteine, die sich aber zu einem scheckigem Bild quirlen – und so fügt es sich aufs Feinste, dass auch ein „Manifest des Fragments“ – natürlich aus den 60er Jahren – anwesend ist.

Ein Buch mit der Aufschrift „Die Schatzinsel“ gibt seinen Schatz nicht preis – es ist zu. Dafür sieht man Wasser auf einer Postkarte Harald Falkenhagens, allerdings ohne Schatz: Ein Krakelstrich, darunter der Vermerk „Der See“ und dazu ulkt Falkenhagen „Es handelt ich um den Bodensee“, natürlich.

Irmgard Dahms zieht es da schon weiter. Sie macht Fotos von ihren Fernreisen und legt darüber „seismische Zeichnungen“, auf denen mit Bleistift das Ruckeln ihrer Reisemittel – Auto, Flugzeug... – EKG-mäßig aufgezeichnet ist. Der Grund ist ein egoistischer: Dahms hasst die Fortbewegung und will, dass bei der Quälerei wenigstens ein Stückchen Kunst abfällt. Die Welt ist voller Daten und Fakten und Job von Kunst ist es (im Gegensatz zur Wissenschaft), die definitiv Nutzlosesten festzuhalten, warum also nicht das Hoppeln des Busses.

Dazu passt ein Musil-Satz: „Übrigens kann man in der Kunst von allem auch das Gegenteil tun.“ Peter-Jörg Splettstößer zitiert ihn und kommentiert ihn durch andere Zitate und Bilder. Apropos Gegenteil – Wolfgang Hainkes erzeugt ein solches einfach nur durch Änderung der Wortstellung: „The world it's all. over. now. /Or: It's all over the world. Well.“ Da gelangt einer in dürftigen zwei Zeilen vom tiefsten Pessimismus zur Euphorie. Und nebenan schwärmt unser taz-Freitagskolumnist Urdrü in einer Publikation des Pictor-Verlags von einer ganz speziellen world, der „aufstrebenden Stadt Rinteln“. Irgendwo ist in dadaistischer Manier zu lesen von Menschen in Gummihandschuhen im vierzehnten Stock, während Achim Bitters grandiose Fotos von Bürointerieurs auch naturbelassen absolut gaga wirken, ganz ohne Gummihandschuh.

Ebenso gaga wie die Welt des Fernsehens bei Marikke Heinz-Hoek. Ganz nüchtern und neutral gibt sie in Zeichnung und Schrift den Wortwechsel bei TV-Talks über die hehre Kunscht wieder. Wie blöd wirkt in der entsinnlichten Buchform ein Hermann Nitsch mit seinem abgenudelten: „Kunst ist die Verdichtung des Lebens.“

Da verabschieden wir uns ganz schnell mit dem flapsigen Harald Falkenhagen: „Alles weitere telefonisch.“ Stimmt sogar: In Bälde sollen angeblich alle ausgestellten Bücher komplett via special telefon called Internet nachzusehen/lesen sein. Jetzt stehen immerhin schon die Künstlerbiographien, Buchtitel und Bilder der Vitrinen drin. So spart man sich in Zukunft teure Kataloge durch den Cyberspace. Ach ja: „Es gibt kein Problem außer dem Realitätsproblem“, so zitiert Splettstößer Fernando Pessoa. bk

Der „Regionalexpress“ ist live bis zum 17. Dezember im Neuen Museum Weserburg zu sehen; alles weitere findet sich unter der Adresse www.nmwb.de